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Dumpfer Nationalismus und Homophobie
Judith
Goetz und Rosemarie Ortner über Solidarität mit der queeren
Budapest Pride.
Mediale und persönliche Berichte von Paraden in Ost/Südosteuropa
stehen oft im Zeichen eines Nachentwicklungsdiskurses, der den demokratischen
Westen mit Emanzipation und Menschenrechten einem Osten gegenüberstellt,
in dem es noch viel zu entwickeln gäbe. Für Ungarn ist dieses
Bild allerdings doppelt falsch: Nicht nur die Glorifizierung liberaler
kapitalistischer Demokratie als Ziel jeder Entwicklung ist problematisch.
In Budapest gibt es die Parade schon genauso lange wie in Wien. In
beiden Städten fand 2011 (nicht koordiniert am selben Tag) zum
16. Mal dieser Umzug statt. Erst seit 2007 kommt es zu Übergriffen,
und es bedarf daher eines massiven Polizeischutzes. Diese Entwicklung
ist einem extremen Rechtsruck geschuldet, und nicht einer »mangelnden
Entwicklung«. Im Jahr 2006 ist es rechtsextremen Kräften
gelungen, massiv Anhänger_innen zu mobilisieren und gewaltvolle
Proteste auf den Straßen Budapests anzuzetteln. Damals richtete
sich der Unmut vieler gegen die sozialistische (neoliberale) Regierung
von Ferenc Gyurcsány, und Viktor Orbán mit seiner FIDESZ-Partei
wusste gekonnt auf der Welle der Entrüstung zu reiten. Dass er
2010 mit einer 2/3-Mehrheit im Parlament aus den Wahlen hervorging,
verdankt er diesem Spiel mit dem Feuer der rechtsextremen Gruppen.
Nun steht die völkische Regierung vor der Aufgabe, gegenüber
rechtsextremen paramilitärischen Gruppen (wie der landesweiten
Ungarischen Garde und Bürgerwehren in den Dörfern) das staatliche
Gewaltmonopol wieder durchzusetzen.
Die Regierungspartei ist aber nicht nur für die mangelnde Abgrenzung
verantwortlich, sondern sie betreibt einhergehend mit dem Abbau demokratischer
Rechte aktiv einen völkisch-nationalen Diskurs, der in Ungarn
seit der Regierungsübernahme durch FIDESZ 2010 in vielen Bereichen
spürbar geworden ist. Das reicht von der Umbenennung von Straßen
und Plätzen über die Außenpolitik (Konflikte mit der
Slowakei und Rumänien und der provokative Großungarnteppich
der Ratspräsidentschaft in Brüssel) bis zur Minderheitenpolitik
im Land (geplante Arbeitslager für Sozialhilfeabhängige,
was zum Großteil Roma betrifft).
Dieser Diskurs wird von der Oppositionspartei Jobbik tatkräftig
unterstützt, indem sie etwa die Regierung immer wieder als nur
scheinbar national beschimpft. Jobbik unterstützt auch die Gegenmobilisierung
zum Pride March und setzt seine Kontakte in rechtsextreme Kreise öffentlich
in Szene. Im Frühjahr 2011, als im nordöstlich von Budapest
gelegenen Dorf Gyöngyöspata paramilitärische Bürgerwehren
aufmarschierten und die Romabevölkerung bedrohten, nutzte Jobbik
die Stimmung und konnte mit antziganistischen Parolen und der Ankündigung,
eine Art Feldgendarmerie einzuführen, die Bürgermeisterwahlen
im Juli gewinnen. Ihr Kandidat Oszkár Juhász erreichte
33,8% der Stimmen und ist nun der dritte Jobbik-Bürgermeister
des Landes. In diesem Dorf soll nun auch eines der ersten Arbeitsprojekte
unter unzumutbaren Bedingungen Kritiker_innen sprechen von
Zwangsarbeit für Sozialhilfeempfänger umgesetzt werden.
Community in Budapest
Auch die Community in Budapest steht nicht außerhalb des nationalen
Diskurses. Beim Pride-Festival 2011 kristallisierten sich die Debatten
diesbezüglich um einen von den Organisator_innen verteilten Anstecker,
einer Konkarde, die zur Hälfte die Farben der ungarischen Flagge,
zur anderen Hälfte die Regenbogenfarben zeigte. Mit dem Anstecker
soll, so eine_r der Organisator_innen, die Hegemonie einer rechten
Definition von Zugehörigkeit in Frage gestellt werden, wie FIDESZ
sie popularisiere. Ungarisch zu sein bedeute viel mehr und nicht FIDESZ
dürfe vorgeben, wie ungarische Menschen zu leben hätten.
Kritiker_innen wiesen hingegen auf die Gefahren des Nationenkonzepts
hin, in das mensch sich hineinreklamieren möchte. Nation basiere
immer auf Ausschlüssen. Zwei politische Strategien, auf einen
Diskurs zu reagieren, in dem Neonazis LGBT-Menschen mit nem
vagy magyar du bist nicht ungarisch beschimpfen. Eine
dritte wäre die Emigration.
Die ungarische Nation produziert ihre Figuren nationaler Anderer.
Dieser Diskurs macht nicht halt vor der Community und erschwert es,
sich zusammen zu tun. Dabei scheint eine Strategie der joint
forces doch naheliegend. Auf der Parade fand sich auch eine
Gruppe, die sich pink Block nannte. Einer der Slogans:
Solidarity with Roma-LGBT! Damit reagierten sie auf einen
Vorfall bei einer Festival Party am Vorabend: Drei Roma Transgender
Personen wurde der Einlass verweigert. Daraufhin kam es zu einem Streit
in der Organisationsgruppe. Die drei Personen kommen angeblich aus
Gyöngyöspata und haben dort sowohl die aufmarschierten Bürgerwehrtruppen
zu fürchten, also auch von der Roma-Gemeinschaft wenig Unterstützung
zu erwarten. Und in der LGBT-Community in Budapest steht ihre Zugehörigkeit
ebenfalls zur Debatte.
Unterstützung aus Wien
Um ein solidarisches Zeichen gegen diese Entwicklungen in Ungarn zu
setzen, fand sich ein Bündnis (radicalqueer.blogsport.eu)
zusammen um die ca. 1500, teils internationalen, Pride-Teilnehmer_innen
in Budapest zu unterstützen und so nahmen auch ca. 50 Aktivist_innen
aus Wien an der Pride teil. Seit die Parade zum Angriffspunkt von
rechtsextremen und neonazistischen Gruppen geworden ist, die seit
2007 Teilnehmer_innen physisch angriffen, mit Steinen und Eiern bewarfen
und einschüchterten, fahren jedes Jahr Unterstützer_innen
aus Wien zur Budapest Pride. Solche Unterstützung ist von den
Organisator_innen gern gesehen, denn auch heuer wurde bereits im Vorfeld
versucht, die Pride mit Hilfe von fadenscheinigen Vorwänden und
Argumenten zu verbieten und die Parade selbst konnte aufgrund der
zahlreichen Gegendemonstrant_innen nur durch massives Polizei- und
Securityaufgebot und weiträumigen Absperrungen entlang der Route
durch Zäune ermöglicht werden. Es kam trotz der guten Stimmung
auf der Parade selbst zu Flaschen- und Steinwürfen. Neonazis
hatten zudem versucht mit homophoben und antisemitischen Aktionen
(gestreckten rechten Armen zum »Hitler-Gruß«, Plakaten,
auf denen rosa Winkel mit Galgenstrick und der Text: »So gehört
mit Schwulen umgegangen!« (siehe Fotos im Internet etwa
auf radicalqueer.blogsport.eu) zu sehen war, ebenso wie durch verbale
Morddrohungen, Drohungen in Form von gestikuliertem Durchschneiden
der Kehle) zu provozieren und zu stören. Auf Videos von der Gegendemonstration
sind Sprechchöre zu hören: Verdreckte Schwuchteln!
Verdreckte Juden!. So sind es mit großer Wahrscheinlichkeit
dieselben, die in Romasiedlungen aufmarschieren und die dort lebende
Bevölkerung bedrohen, wie zuletzt in Gyöngyöspata.
Angriffe auf die Parade
An einem zentralen Platz (Oktogon) entlang der Route hatten 100 Neonazis
einen Durchbruchversuch gestartet, der von der Polizei abgewendet
wurde, jedoch zu einer kurzfristigen Routenänderung der Parade
führte. Nach Ende der Pride machten sich die Aktivist_innen aus
Österreich auf den Weg zum Bus, als ca. 15 Neonazis aus einer
Seitenstraße auf sie zu gestürmt kamen. Neben einem Angriff
mit einem bestialisch stinkenden Reizspray, der von zwei Frauen durchgeführt
wurde, kam es erneut zu verbalen und gestischen Bedrohungen, wie nonverbalen
Morddrohungen und Hitlergrüßen durch Mitglieder von »64
Burgkomitate«. Beim Eintreffen der Polizei behaupteten die Neonazis
jedoch, sie wären von den LGBTIQ Aktivist_innen angegriffen worden.
Diese Umkehrung von Schuld setzt Jobbik systematisch ein, um auch
auf juristischem Wege gegen Teilnehmer_innen der Pride vorzugehen.
Daraufhin wurden alle Aktivist_innen, die inzwischen in den Bus geflüchtet
waren, von der Polizei aus dem Bus gezerrt. Ihnen wurden die Pässe
abgenommen und sie wurden anschließend einzeln den Neonazis
vorgeführt. Diese identifizierten willkürlich zwei Teilnehmer_innen
als vermeintliche Täter_innen, die in weiterer Folge auf eine
Polizeistation mitgenommen, in Gefängniszellen gesperrt und angezeigt
wurden. Dass es dabei Aktivist_innen traf, die aus Österreich
angereist waren, kann als reiner Zufall gesehen werden, da auch andere
Teilnehmer_innen der Parade auf dem Heimweg bedroht und eingeschüchtert
wurden. Des Weiteren war der Angriff nach weiteren Erkenntnissen eine
gut geplante und vorbereitete Aktion. Involviert waren offensichtlich
Mitglieder der rechtsextremen Organisation »64 Burgkomitate
Jugendbewegung« (HVIM), sowie der Abgeordnete der rechtsextremen
ungarischen Partei Jobbik, Gyula Györyg Zagyva, der gleichzeitig
auch als Vorsitzender der »Jugendbewegung der 64 Burgkomitate«
fungiert und die Anwältin Andrea Borbély Borbély
vom Jobbik-Rechtshilfedienst, welche auch die Ungarische Garde vertritt.
Wenngleich die beiden Aktivist_innen wieder frei gelassen wurden,
ist bislang noch unklar, ob tatsächlich ein Verfahren gegen sie
eingeleitet wird. In jedem Fall zeigt sich jedoch, wie in Budapest
von unterschiedlichen Seiten versucht wird, Teilnehmer_innen der Pride
zu kriminalisieren und einzuschüchtern und wie notwendig gleichzeitig
deren Unterstützung ist. So werden auch wir uns nicht einschüchtern
lassen und auch in den nächsten Jahren noch zahlreicher auf der
Pride in Budapest vertreten sein.
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Judith Goetz ist Literaturwissenschafterin und Politikwissenschafterin,
Referentin für feministische Politik der ÖH Bundesvertretung.
Mitglied der Redaktion Context XXI, zahlreiche Artikel und Vorträge
zu den Themenbereichen Rechtsextremismus, Gedenkpolitik und Gedenkkultur
in Österreich sowie zu feministischen/frauenpolitischen Fragestellungen.
Rosemarie Ortner hat vier Jahre in Ungarn verbracht und engagiert
sich nun queerfeministisch in Wien.
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