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Islamneid
Stephan
Grigat über den Attentäter von Oslo und was die rechten
Fremdenfeinde umtreibt.
Für Verfechter des Kampfbegriffs »Islamophobie«,
der im Rahmen einer Immunisierungsstrategie gegen Kritik in den letzten
Jahren Karriere gemacht hat, wurde durch das Massaker von Oslo endgültig
bewiesen, dass der traditionelle Antisemitismus durch einen Hass auf
den Islam abgelöst worden sei. Immer wieder kann man in der Debatte
über den norwegischen Attentäter Anders Behring Breivik
hören, es handele sich bei ihm um einen neuen Typus des Rechtsextremisten:
Der Massenmörder von Oslo sei kein Antisemit. Eric Frey beispielsweise
hat diese Behauptung Anfang August im Standard formuliert. Doch schon
ein flüchtiger Blick in Breiviks irres »Manifest«
könnte einen eines Besseren belehren. Weder erteilt der Attentäter
dem Antisemitismus eine Absage, noch stürzt er sich in blindem
Hass auf den Islam.
Wie anders als einen Antisemiten soll man jemanden nennen, der von
einer »antieuropäischen Holocaust-Religion« faselt,
die überwunden werden müsse, und den USA attestiert, sie
hätten angesichts von »über 6 Millionen Juden«
ein »beachtliches jüdisches Problem«? Was soll man
von jemandem halten, der in Westeuropa nur deswegen kein »jüdisches
Problem« sieht, weil die dortigen jüdischen Gemeinden ausgesprochen
klein seien? Einmal abgesehen von Frankreich und Großbritannien,
wo, wie der Statistikfan Breivik referiert, 800.000 Juden und Jüdinnen
leben, was eben doch wieder ein »jüdisches Problem«
hervorrufe. Wohl nur auf Grund der geringen Zahl von Juden und Jüdinnen
in Europa will Breivik »nicht den gleichen Fehler wie die NSDAP«
machen. Für das assimilierte, zahlenmäßig bedeutendere
US-amerikanische Judentum sieht der Massenmörder die Sache aber
offensichtlich doch wieder ganz anders.
Dass auch Antisemiten sich beizeiten Israel an den Hals schmeißen,
ist keineswegs neu (wobei Breivik auch hier fein säuberlich zwischen
jenen jüdischen Israelis unterscheidet, die ihm als Bündnispartner
gelten und jener wohl überwiegenden Mehrheit, die allein schon
aufgrund ihres »Multikulturalismus« letztlich aus der
Welt geschafft werden müssen). Solche Leute solidarisieren sich
mit Israel in aller Regel jedoch nur als Bündnispartner im Abwehrkampf,
den das »Abendland« (ein Begriff, der stets auch von den
heimischen Kulturkämpfern gegen jenen des »Westens«
in Anschlag gebracht wird) gegen die antisemitische Konkurrenz des
Islam zu führen habe.
Auffällig ist, dass der abgrundtiefe Hass von Breivik auf emanzipierte
Frauen, der neben der Kampfansage an Moslems zu den wenigen Dingen
gehört, die in seinem wirren Manifest einigermaßen konsequent
durchgehalten werden, in der Berichterstattung kaum eine Rolle spielt.
Würde man ihm mehr Beachtung schenken, wäre wohl die Gefahr
zu groß, auf die doch offensichtlichen Parallelen zwischen Breiviks
Weltsicht und jener keineswegs nur des jihadistischen, sondern auch
des orthodox-konservativen Mainstreamislams zu stoßen. Breiviks
Hass auf Muslime
ist offenbar Ausdruck eines unbändigen Neids auf eine Gemeinschaft,
in der repressive Familienstrukturen noch etwas zählen und Frauen
wenig zu melden haben.
Ganz so wie die fremdenfeindlichen Parteien in Europa hasst Breivik
Moslems, die sich auf dem Kontinent niedergelassen haben. Dem Islam
jedoch kann er einiges abgewinnen. Dementsprechend wendet er sich
auch keineswegs grundsätzlich gegen ihn. Er müsse zwar aus
Europa herausgehalten werden, komme ansonsten aber durchaus als Bündnispartner
im Kampf gegen die »US/EU-Globalisten« in Frage. Selbst
die Errichtung eines von »frommen Muslimen geführten Kalifats
im Nahen und Mittleren Osten« hält Breivik in seinem »Manifest«
unter bestimmten Umständen für ein unterstützenswertes
Projekt, was insbesondere angesichts seiner ausgeprägten Misogynie
überhaupt nicht verwunderlich ist. Umso bemerkenswerter, dass
seine Spekulationen über den Islam als potenziellen Partner in
der bisherigen Diskussion über die Anschläge von Oslo kaum
zur Kenntnis genommen werden.
Breivik ist ein Antisemit im Zeitalter der Konkurrenz zwischen abendländischem
Vernichtungswahn und islamischem Jihadismus. Doch davon muss in der
Debatte über das Osloer Attentat und die Transformationen im
europäischen Rechtsradikalismus schon deswegen zwanghaft abstrahiert
werden, um sich ja nicht die offenbar ungemein attraktive Gelegenheit
entgehen zu lassen, kryptonazistische Moslemhasser mit liberalen und
linken Islamkritikern in einen Topf zu schmeißen. Der Versuch,
linke und liberale Kritiker des Islams in die Nähe von Breiviks
eklektizistischen Irrsinn zu rücken oder ihnen gar eine Mitverantwortung
für sein Massaker zu attestieren, was hierzulande mit Inbrunst
von Robert Misik betrieben wird, stellt nichts anderes als ein durchschaubares
Manöver dar, mit dem jegliche Kritik an der islamischen Menschenzurichtung
unter Rassismusverdacht gestellt werden soll. Sich über die geistige
Nähe von Neonazis und den eingeborenen postnazistischen Erben
der NSDAP zu Breivik Gedanken zu machen, ist hingegen alles andere
als abwegig. Der Massenmörder teilt mit ihnen keineswegs nur
den Antisemitismus, sondern auch jene Mischung aus Hass auf und Neid
gegenüber dem Islam, die ohne eine gewisse Bewunderung nicht
auskommt. Dieses ambivalente Verhältnis der heimischen Fremdenfeinde
hat Gerhard Scheit treffend auf den Punkt gebracht: »Beneidet
wird, dass der Islam verwirklicht, wozu man selbst nicht imstande
ist oder woran man relativ erfolgreich gehindert wird; dass diese
Religion gemeinschaftsbildend im politischen Sinn ist; dass der gläubige
Muslim seinen Status als Überflüssiger auf dem Arbeitsmarkt
nicht nur so gut erträgt, sondern daraus Stolz und Würde,
und, in Gestalt des jihadistischen Kollektivs, Kampfgeist gegen einen
Feind gewinnt, den man als Hirngespinst mit den Jihadisten durchaus
gemeinsam hat, nämlich die isoliert betrachtete, abstrakte Seite
des Kapitals, in dieser oder anderer Form auf die Juden projiziert,
die alle Gemeinschaften zersetzten. So ist aber der als Hass hervortretende
Neid auf den Islam letztlich nur von dessen eigenem antisemitischen
Potential aus zu verstehen. Die Muslime stellen für den Antisemiten
des Abendlands nämlich eine einzige große narzisstische
Kränkung dar, wie sie keine andere der von ihm sonst noch verachteten
und physisch bedrohten Gruppen von Immigranten bereithält.«
Rechte Fremdenfeinde nehmen jede neue Dönerbude in ihrer Wohngegend
als existenzielle Bedrohung wahr, dem islamischen Furor im Orient
können sie aber kaum anders als durch ehrerbietende Anerkennung
begegnen, weshalb sie auch auf Kritik beispielsweise am iranischen
Regime ausgesprochen allergisch reagieren. Ihr Ziel ist die Verwirklichung
einer zur Gemeinschaft formierten Gesellschaft, die Materialismus
und Individualismus entsagen soll, worin erschreckenderweise auch
gar nicht wenige Linke eine ausgesprochen ansprechende Perspektive
sehen. Bei den Vordenkern und Praktikern einer kommunitaristischen
islamischen Elendsverwaltung lassen sich zahlreiche Anregungen finden,
wie solch eine Horrorvorstellung von menschlichem Zusammenleben organisiert
werden kann.
Mit den deutschen und österreichischen Nachlassverwaltern der
Nazi-Ideologie teilt Breivik aber nicht nur den Neid gegenüber
der gemeinschaftsstiftenden Kraft des Islam, sondern auch den Hass
auf die »Frankfurter Schule«, also jene Kritische Theorie
von Theodor W. Adorno, Max Horkheimer und Herbert Marcuse, auf die
sich der Autor der »Europäischen Unabhängigkeitserklärung«
gleich auf den ersten Seiten seines Konvoluts einschießt. Breivik
sieht alles Unglück dieser Welt von »Kulturmarxisten«
verursacht, die sich von der Kritischen Theorie der vor dem Nationalsozialismus
in die USA geflohenen Gesellschaftskritiker hätten inspirieren
lassen. Es ist keine allzu neue Erkenntnis, dass der Hass auf die
Kritische Theorie ganz so wie jener auf die Psychoanalyse Ausdruck
eines Antisemitismus ist, der sich jede Form von individueller und
gesellschaftskritischer Selbstreflexion panisch um sich schlagend
vom Leib halten muss. In Deutschland verbreitete die NPD in ihrer
Monatszeitschrift schon vor Jahren, dass es sich bei der Kritischen
Theorie um einen »Giftfraß« handelt, »der
die inneren Organe und das Gehirn des deutschen Volkskörpers
angreifen sollte.« Adornos »Studien zum autoritären
Charakter«, die Breivik als eine Art Handbuch zur Zerstörung
des abendländischen Erbes in Europa sieht, bezeichnete der NPD-Vordenker
Norbert Gansel als Vorbild für die US-amerikanischen Reeducationversuche
im postnazistischen Deutschland, die von Adorno motiviert gewesen
seien, der bei den deutschen Nazis ganz im Sinne Breiviks als »geistiger
Giftpilz der Gemeinschaftszersetzung« firmiert. Und in Österreich
hatten Burschenschaftler und Freiheitliche vor einigen Jahren der
Kritischen Theorie ein ganzes Symposium unter dem ernst gemeinten
Titel »Frankfurter Schule die 9. Todsünde«
gewidmet, auf dem über jene »zersetzende Wirkung«
von Adorno, Horkheimer und Marcuse referiert wurde, die auch der norwegische
Massenmörder beklagt.
Eben diese »zersetzende« Kritik in der Tradition von Adorno
ist es, die auch heute die besten Waffen bietet gegen abendländischen
Wahn und islamischen Jihad, gegen linke Islamapologeten und rechte
Fremdenfeinde.
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Stephan Grigat ist Lehrbeauftragter für Politikwissenschaft
an der Universität Wien und Mitherausgeber von »Iran im
Weltsystem. Bündnisse des Regimes und Perspektiven der Freiheitsbewegung«.
(Studienverlag 2010).
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