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Fucking John
In seinem
neuesten Werk protokolliert der kanadische Comic-Autor Chester Brown
seine Laufbahn als Freier und verwechselt dabei das Privileg
auf käuflichen Sex mit »befreiter« Sexualität.
Von Vina Yun.
Bekannt wurde Chester Brown mit seinen Graphic Novels »Ed the
Happy Clown« und »Louis Riel«, einer Comic-Bio des
gleichnamigen kanadischen Politikers und Volkshelden aus dem 19. Jahrhundert.
Doch es waren vor allem Browns autobiographische Werke »The
Playboy« und »I Never Liked You« , die in
der jungen nordamerikanischen Autorencomic-Szene der neunziger Jahre
Spuren hinterließen und auch jenseits des Atlantiks eine wachsende
Fangemeinde erreichten. (»I Never Liked You« erschien
unter dem Originaltitel »Fuck« Mitte der Neunziger auf
Deutsch bei Jochen Enterprises und wurde vor einigen Jahren von Reprodukt
neu aufgelegt).
Nach einer mehrjährigen Schaffenspause meldet sich Chester Brown
nun wieder zurück. »Paying For It A Comic-Strip
Memoir About Being a John« lautet der Titel seiner jüngsten
Graphic Novel, in der sich der heute 51-jährige Zeichner an seine
aktiven Jahre als Freier erinnert. Sein rund 300 Seiten starkes Buch
möchte der in Toronto lebende Autor jedoch nicht allein als autobiographisches
Dokument verstanden wissen sei ebenso »Paying For It«
sein Beitrag zur öffentlichen Debatte über Sexarbeit, die
in Kanada zwar nicht per se verboten ist, jedoch durch etliche gesetzliche
Bestimmungen starken Einschränkungen unterliegt. So sind beispielsweise
das Betreiben von Bordellen wie auch die Bewerbung sexueller Dienstleistungen
oder das Anschaffen in der Öffentlichkeit verboten Bedingungen,
die die (legale) Ausübung von Sexarbeit deutlich erschweren und
diese zudem vollständig in den privaten Bereich verlagern.
Nicht zuletzt vor diesem Hintergrund sorgte Browns öffentliches
Outing als »John« (zu Deutsch: Freier) für einiges
Aufsehen. Vom Feuilleton wurde der Tabubruch durchweg gelobt, der
Entschluss, seine Verabredungen mit Sexarbeiterinnen zu Papier zu
bringen, als »mutig«, »schonungslos« und »aufklärerisch«
gewürdigt.
Dass Browns Freier-Karriere ausgerechnet mit einer persönlichen
Niederlage seinen Anfang nimmt seine damalige Freundin, die
Schauspielerin und Fernsehmoderatorin Sook-Yin Lee (hierzulande bekannt
aus dem Film »Shortbus«), schasst ihn auf recht uncharmante
Weise , mag man zunächst noch als »klassische«
Kompensationsstra-tegie angesichts einer männlichen Existenzkrise
interpretieren. Allerdings zeigt Chester Brown keinerlei Interesse,
den tragischen Helden zu geben. Anhand seiner eigenen Persona entmystifiziert
er vielmehr das stereotype Bild des typischen »John«:
Der ist nämlich in der Regel weder ein einsames Häufchen
Elend noch ein brutaler Perversling, der sich besonders ausgefallene
Sexpraktiken wünscht, sondern fürchterlich »normal«
und sieht im Fall von »Chet« Brown aus wie der
blasse Nerd aus dem Comic-Laden von nebenan, der angesichts seiner
soften Erscheinung eher den Beschützerinstinkt als die Libido
zu wecken vermag. In einer Review für die New York Times titulierte
ihn Sex-Aktivistin Annie Sprinkle gar augenzwinkernd als »goodhearted
bad boy«.
Vollkommen entdramatisiert sind auch die Biographien der dargestellten
Sexarbeiterinnen. Beichten aus der Drogenhölle, Missbrauchsgeschichten
oder Berichte über Zwangsprostitution sucht man hier vergeblich.
Statt Champagner oder harter Drinks gibts höchstens mal
ne Cola vor dem Sex, der mal besser, mal schlechter ist und
sich damit gar nicht so sehr von unbezahltem Sex unterscheidet. »Prostitution
is just a form of dating«, erklärt Chester Brown. Was ihn
allerdings nicht daran hindert, bei den Sexarbeiterinnen ständig
nach denselben »Qualitäten« Ausschau zu halten: schlank,
hübsch, große Titten und so jung, wie es das Gesetz
erlaubt.
Browns Faible für Playmate-Bodymaße kennt man bereits aus
seinen älteren Comics, ebenso seinen stoisch anmutenden Charakter,
der mehr an einen Buchhalter als an einen Sex-Tiger erinnert. Entsprechend
sachlich ist der Erzählton, was die Alltäglichkeit und »Normalität«
der Sexarbeit zusätzlich betont. Nicht weniger nüchtern
präsentiert sich die Form: Die Seiten sind durchgehend streng
in acht Panels gegliedert, in den Schwarzweiß-Bildern regiert
ein klarer Strich.
Dies ist auch die Hauptabsicht des Autors: Mit der Forderung, Sexarbeit
von ihrem gesellschaftlichen Stigma zu befreien, will Chester Brown
auch die Freier-Identität »normalisieren«, was ihn
zu recht fragwürdigen Vergleichen mit »Sexual Rights«-Bewegungen
wie LGBT führt. Damit ignoriert er eine wesentliche Tatsache:
Der Kauf sexueller Dienstleistungen ist bereits gesellschaftlich institutionalisiert
und stellt bis heute ein legitimes (wenngleich moralisch ambivalent
bewertetes) Handlungsfeld männlicher Identitätsbehauptung
dar.
Zu dieser männlichen »Freier-Normalität« gehört
auch die Sicht auf die Dienstleistung der Sexarbeiterin als Ware.
Auf einer der verbreiteten Online-Plattformen für Freier tauscht
Brown mit anderen Reviews aus, in denen Sexarbeiterinnen bewertet
und miteinander verglichen werden wie beim Autokauf. Diese
Praxis ist nicht einfach Ausdruck eines besonders üblen Sexismus,
vielmehr entspricht sie der kapitalistischen Logik, die Sex entsprechend
der Ökonomisierung ungleicher Geschlechterbeziehungen warenförmig
macht.
Wenig überraschend ist daher, dass auch der Körper der Sexarbeiterin
»zerlegt« wird: Zwar hat Chester Brown die Frauen, die
er als Freier getroffen hat, allesamt anonymisiert dennoch
hebt er immer wieder einzelne körperliche Merkmale hervor, von
den Cellulite-Schenkeln bis hin zum Silikon-Busen. Für Brown
scheint diese »entmenschlichende« Fragmentierungstechnik,
die in der feministischen Auseinandersetzung mit dem Mainstream-Pornofilm
als Konsequenz eines »männlichen Blicks« analysiert
wurde, in keinem Widerspruch zu seiner vordergründigen Solidarisierung
mit der politischen Huren-Bewegung zu stehen, die mit der Auffassung
von Sexarbeit als Entscheidung (statt als »Schicksal«)
den Subjektstatus der Sexarbeiterinnen betont.
Freier zu sein steht im Brownschen Universum für individuelle
sexuelle Freiheit und nicht etwa für ein geschlechter- und klassenspezifisches
Privileg. So fußt sein Plädoyer für die Dekrimininalisierung
von Sexarbeit in Kanada (im Gegensatz zur Legalisierung, die eine
Registrierung und Lizenzenvergabe also letztlich eine staatliche
Kontrolle zur Folge hätte), die er in umfangreichen illustrierten
Fußnoten ausführt, auf der Überzeugung, dass einvernehmlicher
Sex zwischen Erwachsenen Privatsache sei: Der Staat habe sich aus
dem Schlafzimmer gefälligst rauszuhalten.
Für Sex zu zahlen, sei letztlich ehrlicher, schließlich
sei auch die romantische Zweierbeziehung ein Tauschgeschäft,
das jedoch durch allerlei Liebesgedöns verschleiert werde. Chester
Brown idealisiert seine eigene Freier-Existenz zu einem Lebensstil,
der sich als Gegenentwurf zur Idee der romantischen Liebe und der
monogamen Pärchenbeziehung versteht. Derart wandelt sich das
Recht auf eine selbstbestimmte Sexualität, die die Wahl für
Sexarbeit sowie Alternativen zu klassischen Beziehungsmodellen einschließt,
in ein Recht auf prostitutiven Sex. Für wen eine solche »befreite«
Sexualität funktioniert, dürfte nur unschwer zu erkennen
sein.
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Chester Brown: Paying for it. A Comic-Strip Memoir About Being
a John. Drawn & Quarterly, Montreal 2011, 292 Seiten, 17, 50 Euro
Chester Brown: Fuck. Reprodukt, Berlin 2008, 192 Seiten, 16 Euro
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Dieser Text von Vina Yun erschien zuerst in: Jungle World, 31/11.
www.jungle-world.com
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Vina Yun ist u.a. Redakteurin bei migrazine.at.
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