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Tückische Waffen im Klassenkampf von oben
Didi
Neidhart über das Buch »Blödmaschinen«, in dem
Markus Metz und Georg Seeßlen analysieren, wie in diesen Zeiten
Dummheit produziert wird.
Die Feststellung ist nicht gerade neu und auch nicht sonderlich originell.
Dass Blödheit medial fabriziert wird, ist seit Erfindung »der
Medien« ein beliebter Topos kulturpessimistischer Dystopien.
Was wurde da nicht schon alles vorausgesagt. Nicht umsonst gleichen
sich die Aufschreie der letzten 50 Jahre immer wieder so sehr. Es
reicht, Begriffe wie »Kino«, »Comics«, »Beatmusik«,
»Computer«, »Internet«, »Videogames«
einfach mal auszutauschen und aktuelle Debatten lesen sich wie solche
aus den 1950ern. Dennoch hat sich etwas verschoben, ist es zu Brüchen
gekommen, und genau hier setzten Metz und Seeßlen auch an.
Auch sie kämpfen mit dem blöden Gefühl, dass früher
einiges besser war (in den Medien, der Politik, im Pop). Wir kennen
das selber, wenn es mal wieder um prägende TV-Erfahrungen aus
den 1970er und 1980ern geht, weil wir es nicht packen, dass schon
damals als verstaubt erachtete TV-Show-Konzepte permanent noch verstaubtere
Revivals in der Maske hipper Entertainmentinnovationen erleben. Was
ist also anders geworden? Zum einen gab es einen Wechsel vom Industrie-
über den Dienstleistungs- bis hin zum aktuellen Finanzkapitalismus
mit all seinen Folgen. Zum anderen ergänzen sich der private
Mediensektor und der Neoliberalismus aufs vortrefflichste. Gerade
im deutschsprachigen Raum treffen diese beiden Aspekte beinahe zeitgleich
zusammen. Und das ist kein Zufall. So wie sich der Staat im Sinne
von »Privatisierungen« immer mehr aus seiner Verantwortung
(kurz: Politik zu machen) zurückzieht, so zieht es die öffentlich-rechtlichen
immer mehr zu Programmen, die den privaten Blödmaschinen in nichts
nachstehen (und dabei meist noch blöder sind, weil Blödheit
irgendwie dann halt doch auch dem Primat einer echt gelebten Blödheit
verpflichtet ist).
Bei dieser Sicht der Dinge wird die »freie Meinungsäußerung«
(nicht
zu vergessen die »Vielfältigkeit der Meinungen« durch
möglichst viele
Privat-Sender) in der »freien Presse« hauptsächlich
vom Staat
(Stichwort »gleichgeschaltete Medien«) und einer ominösen
»linken
Meinungshegemonie« bedroht, wohingegen die quasi zensurfreie
Meinungsentfaltung über den freien Markt von durch Inseraten
finanzierte Medien garantiert wird.
Aber wie der Gefahr entkommen, angesichts der »Glanzlosigkeit
der neoliberalen Kultur«, die von Enzensberger für die
1960er/1970er diagnostizierte »Kleinbürgerhölle«
plötzlich in einer Art verzweifelter Retro-Befindlichkeit als
doch nicht so schlecht zu hypen? Für Metz und Seeßlen zeigt
sich gerade hier die Bruchstelle. Ähnlich wie Diedrich Diederichsen
in »Eigenblutdoping« bleibt für sie die »Kleinbürgerhölle«
eine Hölle, aber es war (noch) eine Hölle, aus der es Auswege
gab. Sie war nicht (wie etwa das, was uns täglich mittels Reality-TV
als »Unterschicht« vorgeführt wird) ein Endpunkt.
Diese Auswege wurden nicht zuletzt durch »Schmuggelwaren«
in den Medien angezeigt (Fernsehspiele, TV-Experimente, TV-Diskussionen
mit open end). Und die fehlen wie auch die ökonomische
und soziale Sicherheit mittlerweile fast gänzlich. Eine
Kritik daran ist nicht nur deshalb so kompliziert und komplex, weil
die Verflechtungen zwischen Medien und Politik gerade in ihrer blanken
Offenheit mittlerweile für so logisch gehalten werden (neoliberale
Ökonomie hält sich ja bekanntlich für ein unumstößliches
Naturgesetzt) wie die Rede vom Staat, der kein Geld hat, aber für
Bankenrettungen dann doch. Das Problem einer (linken) Kritik sind
eher die Rückzugsgefechte der »Ideologie der Mitte«,
die laut Metz und Seeßlen kulturell zwar eh nichts mehr zu melden
hat, deshalb jedoch umso heftiger gegen Intellektuelle und Unterschicht
mobilisiert. Exemplarisch dafür stehen konservative PolitikerInnen,
die es sich nicht verbeißen können, bei ihren sporadischen
Geißelungen des »Scheißprivatfernsehens« im
selben Atemzug auch immer wieder die »Intellektuellen Besserwisser«
in ihre Schranken weisen zu müssen. Gerade solche »Geschmacksbürger«
(speziell wenn sie wütend sind) machen »nicht zuletzt die
Kritik an jener Kultur schwer, die zugleich eine Kultur der Unterschicht
ist, eine Kultur, die diese Unterschicht erzeugt, und schließlich
eine Kultur, die sie verhöhnt.«
Was ist nun jedoch konkret unter »Blödheit« zu verstehen?
Wie mit dem Begriff »Blödheit« überhaupt eine
Kritik ausformulieren, die sich nicht als Anti-Blödheit erneut
auf den selben Erfahrungshorizont wie das Kritisierte bezieht und
auch nicht »die Medien« unisono als blöde begreift.
Metz und Seeßlen definieren »Blödheit« als
»Dummheit plus 'Benommenheit'«, wobei sich »Dummheit«
als ein Nicht-Wissen im Sinne von »Nicht-wissen-Wollen«,
»Nicht-gewusst-haben-wollen« manifestiert. Diese Abwesenheit
von »Klugheit« (definiert als »Wissen plus Intelligenz«)
findet sich nun in den Medien (im Boulevard ebenso wie im »Qualitätsjournalismus«),
in Bildungseinrichtungen (hier durch Ökonomisierung/Quantifizierung),
der Ökonomie (etwa beim »silly money« des neoliberalen
Finanzkapitalismus wie bei der Annahme, die »Wirtschaftswissenschaften«
würden zu den »exakten Wissenschaften« gehören)
und in der Politik (»Blödheit« als Ziel der postdemokratischen,
mediokratischen Ideologie).
In den letzten 20 Jahren hat Blödheit ihren Peinlichkeitsfaktor
fast komplett verloren. Statt »Cash from Chaos« gilt »Cash
from Stupitity«. »Denken« jenseits des »Markt-Denkens«
ist etwas für das intellektuelle Lumpenproletariat, das sich
dem »Wissensmanagement« verweigert und das vielleicht
gerade noch als »fast beliebig zu manipulierendes und auszubeutendes
globales intellektuelles Proletariat und Subproletariat«
der »Entrechtung der Kreativen« durch die Cultural Industries
zuspielt. Denn auch »die Klugen« sind schon lange nicht
mehr »die Guten«, auch weil Bildung immer »dümmer«
wird und der Bluff so lange zum guten Ton, zur Eintrittskarte in die
(politische) Promi-Society gehört, bis das Plagiat auffliegt.
Deshalb muss »Dummheit als Ideologie« auch als »Klassenkampf
von oben« betrachtet werden.
»Die Blödmaschine ist eine besonders tückische Waffe
im Klassenkampf von oben geworden. Sie erzeugt zugleich, was sie bekämpft,
sie bestraft, was es ohne sie in dieser Form womöglich gar nicht
gäbe.« Erzeugt wird eine »Unterschicht«, die
entsprechend des neoliberalen Dogmas der Ich-AGs, nie ein »Klassenschicksal«,
sondern immer nur ein »Einzelschicksal« vor Augen hat
(im privaten Umfeld wie in den Reality-Shows). Wer es nicht schafft
und das postulieren die »Medien der Entwürdigung«
tagtäglich ist »selber schuld«. Wie soll sich
denn auch ein Subjekt gut fühlen, wenn es scheinbar selbst dafür
zu blöde ist, in die Riege der »besonders talentfreien
Selbstüberschätzer« einer x-beliebigen Casting/Reality-Show
zu kommen?
Speziell in Österreich adelt Dummheit. Ebenso »too small
to do good doping« (weshalb nur »bad doping« betrieben
werden kann), wie human im Umgang mit Gesetzesverstößen
falls von den Gesetzen, gegen die verstoßen wurde, zum Zeitpunkt
der Tat nicht gewusst werden konnte, dass es sie gibt (Dörfler).
Deshalb kann ein Uwe Scheuch nach dem Gerichtstermin und vor einem
Interview »als Promi« beim Beach Volleyball-Turnier locker
sagen: »Ich würde von jedem anderen den Rücktritt
verlangen, ist doch klar! Das ist eben das politische Spiel.«
In den und durch die (privaten) TV-Blödmaschinen hat sich das
Verhältnis von Promis zu PolitikerInnen dahingehend verlagert,
dass erstere nun Politik gestalten, während hingegen zweitere
alles tun, damit Politik endlich zu einem Ende kommt (Wahlen werden
schon lange eher durch Auftritte in Society-Formaten gewonnen). Was
sie jedoch eint, ist nicht zuletzt die Frage, womit die denn eigentlich
nun ihr Geld verdienen.
Das Erschreckende an einem Buch wie »Blödmaschinen«
ist dann auch, dass selbst die polemischsten darin getätigten
Äußerungen (Denken und Theoretisieren soll ja auch Spaß
machen), immer noch der Medienwirklichkeit hinterherhinken.
Dazu nur zwei Beispiele: Nachdem in Fukushima der erste Reaktor in
die Luft geflogen war, konnte ein »Experte« allen Ernstes
minutenlang davon quasseln, dass es sich dabei aller Wahrscheinlichkeit
nach möglicherweise auch um eine »kontrollierte Explosion«
gehandelt haben könnte. Weder explodierte der Experte daraufhin,
noch wurde er in seiner »freien Meinungsäußerung«
eingeschränkt.
Als in der Woche, in der die Praktiken der britischen Murdoch-Presse
(angezapfte und abgehörte Telefone von Promis, PolitikerInnen
und Hinterbliebenen von Terroropfern) immer mehr ans Tageslicht kamen,
dieses Thema durch die Terroranschläge in Norwegen aus den Headlines
verdrängt wurde, starb bekanntlich auch Amy Winehouse, woraufhin
sich im TV diverse LondonkorrespondentInnen in Ermangelung eigener
Informationen doch wirklich auf »die wie immer in solchen Sachen
bestens informierte britische Presse« bezogen, um von Sex &
Drugs und »Soul-Legende« daherzufaseln.
Auch wenn die Autoren verhalten optimistisch mit dem Satz »alles,
was man denken kann, kann man auch ändern« schließen,
so bleibt doch mindestens eine Frage offen: Was, wenn das Denken der
Blödmaschinen darüber hinaus geht?
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Markus Metz, Georg Seeßlen: Blödmaschinen.
Die Fabrikation der Stupidität, edition suhrkamp 2011, 782 S.,
EUR 25,00.-
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