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Wanderarbeiter in Wien
Eine
Reportage von Emil Rabe.
Viliam K.* ist
56 Jahre alt, sowohl tschechischer als auch slowakischer Staatsbürger
und lebt heute als Obdachloser in Wien. Viliam hat Herzprobleme, die
aber nach seinen Aussagen nicht ernsthaft sind. Zudem scheint er Schwierigkeiten
zu haben, sich den Anforderungen der modernen Leistungsgesellschaft
anzupassen. Alter, Krankheit, eine nur bedingte Leistungsbereitschaft
und die nicht gerade rosigen ökonomischen Verhältnissen
in der Tschechischen Republik, wo Viliam zuletzt lebte, machen es
für ihn unmöglich, eine Arbeit zu finden, von der er leben
und seiner 11-jährige Tochter noch finanzielle Unterstützung
zukommen lassen kann. Als ihn vor Jahren ein polnischer Freund
anbot, fallweise in seinem Bauunternehmen in Österreich zu arbeiten,
ergriff Viliam ohne zu zögern diese Möglichkeit.
In der Tschechischen Republik, rechnet er mir vor, würde ein
ungelernter Arbeiter zwischen 400 500 Euro verdienen. Ebenso
viel müsste man aber auch für eine Kleinwohnung hinblättern,
das Überleben sei unter diesen Verhältnissen unmöglich.
In Österreich könnte Viliam zwar nur tageweise und schwarz
arbeiten, doch in guten Monaten verdient er hier bis zu 900 Euro.
Da er in Obdachlosenunterkünften oder in Zügen übernachtet,
spart er sich die Miete, kann seinen Lebensunterhalt bestreiten und
gelegentlich auch seine Tochter finanziell unterstützen. Dafür
lebt Viliam nun bereits seit 7 Jahren auf der Straße. Selten
kommt er bei Bekannten unter, ansonsten treibt er sich, wenn er nicht
gerade eine Arbeit bekommen hat, Tag für Tag in den Einrichtungen
der Wohnungslosenhilfe oder auf der Straße herum, kümmert
sich um die alltäglichen Dinge, wie Essen und Körperhygiene
und unterhält sich mit tschechischen und slowakischen Kollegen.
Zu seinen Lieblingsbeschäftigungen zählt es, sich Filme
auf seinem Laptop anzusehen. Alkohol trinkt er selten und Drogen konsumiert
er überhaupt nicht. Gute Vorraussetzungen, um das Leben auf der
Straße psychisch und physisch zu verkraften.
Tatsächlich ist Viliam nur einer von Hunderten obdachlosen EU-Bürgern,
die in Österreich leben und arbeiten. Besonders die Bundeshauptstadt,
nahe der Grenze zu Ungarn, der Slowakei und der Tschechischen Republik
zieht viele an, welche hier ihr Glück versuchen wollen oder Wien
als erste Station auf der Durchreise nach Deutschland oder Italien
aufsuchen. Da in Österreich EU-Bür-ger aus den neuen Beitrittsländern
erst 2011 bzw. 2014 legal arbeiten können, blieb Arbeitern aus
Osteuropa nur die Beschäftigung im informellen Sektor übrig.
Verglichen mit Ländern wie Italien (21,6 % BIP 2011) oder Spanien
(19,2 % BIP 2011), wo die Schattenwirtschaft einen bedeutenden Teil
der wirtschaftlichen Tätigkeit umfasst und die temporäre
Beschäftigung von mittellosen Migranten nichts Ungewöhnliches
ist, ist die informelle Arbeit in Österreich (8,1% BIP 2011)
eher eine Ausnahmeerscheinung, die zudem für Migranten ohne Sprachkenntnisse
nicht ohne Weiteres zugänglich ist. Die klassischen Zielländer
für die neuen EU-Bürger sind daher eher die angelsächsischen
Länder (England, Irland) mit liberalen Beschäftigungsbestimmungen
oder die Länder des Mittelmeerraums, welche in den Jahren vor
der Wirtschaftskrise einen Boom im Bausektor und in der Gastronomie
verzeichnen konnten, der unzähligen Menschen aus Osteuropa eine
Arbeit verschaffte.
Gheorghe I. ist 28 Jahre alt und rumänischer Staatsbürger.
Er arbeitete jahrelang in Spanien, dann in Italien, Deutschland und
ist nun in Wien gelandet. In Rumänien ist die Auswanderung nach
Europa im letzten Jahrzehnt aufgrund der tristen Wirtschaftslage zur
Selbstverständlichkeit geworden. Heute leben und arbeiten über
1,5 Millionen rumänische Staatsbürger in der EU als reguläre
oder irreguläre Arbeiter. Sie sind Teil eines mobilen, innereuropäischen
Proletariats, das entsprechend dem Angebot und den Arbeitsbedin-gungen
den optimalen Arbeitsplatz mit der besten Bezahlung aufsucht. Reguläre
und informelle Beschäftigungs- und Wohnverhältnisse können
sich dabei in der Biographie dieser Wanderarbeiter mehrmals abwechseln.
In Spanien war Gheorghe jahrelang auch legal beschäftigt und
teilte sich mit einem Freund eine nette kleine Wohnung mit Bad und
Balkon. Der Ausbruch der ökonomischen Krise in Europa traf in
den Mittelmeerländern Italien und Spanien, die nicht zuletzt
wegen der Ähnlichkeit der rumänischen Sprache mit Spanisch
und Italienisch zum bevorzugten Zielort vieler rumänischer Arbeiter
wurden, vor allem den Bausektor und ließ viele Beschäftige
aus Osteuropa ohne Arbeit und Einkommen zurück. Also wanderten
Arbeiter wie Gheorghe auf der Suche nach Beschäftigung in andere
EU-Staaten. In Österreich ist er nun obdachlos und schläft,
wie die meisten wohnungslosen EU-Bürger in Wien, abwechselnd
auf der Straße, in Zügen, leer stehenden Häusern oder,
falls ein Platz frei ist, in den Notunterkünften für Obdachlose.
Vor allem für Arbeiter, die bereits länger in Italien und
Spanien gearbeitet haben, bedeutet das Leben in Österreich einen
klaren Abstieg. Auch wenn sie dort auf der untersten Sprosse der gesellschaftlichen
Arbeit malochten, konnten sie aufgrund des großen Bedarfs an
Arbeitskräften bei entsprechendem Einsatz einiges verdienen und
selbst wenn sie in prekären Verhältnissen wohnten, hatten
sie immerhin eine feste Wohnstätte. Dementsprechend unzufrieden
sind Gheorghe und seine rumänischen Kollegen mit der Situation
in Österreich. Oft wissen sie nicht, wo sie die nächste
Nacht verbringen sollen und vor allem können sie in Österreich
nicht legal arbeiten. Rumänischen Arbeitskräften ist der
österreichische Arbeitsmarkt erst 2014 zugänglich.
Dennoch ist es schwer auszumachen, ob allein die ökonomische
Situation und restriktive Niederlassungsbestimmungen dafür verantwortlich
zu machen sind, dass viele dieser Wanderarbeiter es nicht schaffen,
sich eine feste Existenz in ihren jeweiligen Gastländern aufzubauen.
Leute wie Viliam, der seit Mai 2011 legal in Österreich arbeiten
kann, scheinen sich mit der prekären Situation arrangiert zu
haben und schrecken vor den Hindernissen zurück, die es zu überwinden
gelte, um in Österreich eine Wohnung, Beschäftigung womöglich
auch eine Ausbildung zu erwerben und auch noch die Familie im Herkunftsland
zu unterstützen. Andere sparen auf ein Haus und eine gesicherte
Existenz in ihrer Heimat, nehmen dafür das mitunter spartanische
Leben in Kauf und haben daher wenig Interesse hier Fuß zu fassen.
Manche glauben auch nicht mehr daran, dass sie es noch schaffen könnten,
ein geregeltes Leben zu führen. Das Leben am Rand der Gesellschaft
hat viele desillusioniert und sie zynisch werden lassen. Ioan C.,
ein 33-jähriger rumänischer Staatsbürger, war 2 Jahre
in Deutschland wegen Körperverletzung inhaftiert. Es wäre
eine Dummheit gewesen, gibt Ioan selbst zu, um sich dann wieder zu
rechtfertigen, er hätte sich doch verteidigen müssen. Auf
die Frage, ob er in Zukunft ebenso handeln würde, bejaht er mit
einem resignierenden Lächeln und meint stolz, 2 Jahre Gefängnis
würden ihm nichts ausmachen. Er sei jederzeit bereit, wieder
ins Gefängnis zu gehen, wenn es erforderlich sei. Ein ähnlicher
Fatalismus ist vor allem unter den jüngeren Arbeitern und Obdachlosen
aus Osteuropa zu finden. Sie haben in Europa das gleiche erfahren,
wie in ihren Heimatländern: Dass die Gesellschaft keine Rücksicht
auf ihre Bedürfnisse nimmt und ihnen keine Perspektive bietet.
Morgens, zeitig um sechs in der Früh, sammeln sich die Wanderarbeiter
an den bekannten Stellen in Wien, in der Hoffnung von einem Arbeitgeber
angeheuert zu werden. Die Mehrheit geht leer aus. Gegen zwölf
geben die meisten auf und treffen sich an öffentlichen Plätzen
in Wien oder besuchen die ihnen offen stehenden Obdachloseneinrichtungen,
um sich zu duschen oder etwas zu essen. Der Lohn der Schwarzarbeit
entspricht den informellen Studentenjobs, bei denen Studenten zwischen
6 - 8 Euro bezahlt bekommen. Wer körperlich anstrengende Arbeit
leistet, kann auch mit 10 Euro rechnen. Die Erfahrungen mit den Arbeitgebern
in Wien sind ebenso vielfältig wie bei der regulären Beschäftigung.
Manche haben Erfahrungen mit skrupellosen Chefs gemacht, die sie um
ihren hart verdienten Lohn geprellt haben, andere berichten von durchwegs
positiven Erfahrungen. Österreich ist sicher nicht erste Wahl,
doch angesichts der wirtschaftlichen Misere ist man nicht heikel.
Hauptsache, es lässt sich etwas Geld verdienen und selbst
wenn man wochenlang kein Geld verdienen kann: Obdach- und mittellos
in Osteuropa zu sein, ist keine Alternative. Welten würden zwischen
dem Schicksal eines Obdachlosen in Österreich und in der Tschechischen
Republik liegen, meint Viliam. In Prag müssten selbst Mittellose
für Nächtigung und ein karges Mahl zahlen. Darüber
hinaus gebe es kein weiteres Angebot für Obdachlose. Solch Lob
an das österreichische Sozialsystem mag blauäugig erscheinen,
doch wer das Netz an entsprechenden öffentlichen und privaten
Einrichtungen in Wien kennt und vernünftig nützt, ist hier
sicher besser aufgehoben als in Prag, Budapest oder Bukarest.
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*Namen vom Autor geändert
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Emil Rabe ist freier Autor und lebt in Wien.
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