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Porn studies?


Worin liegt eigentlich ein feministisches Erkenntnisinteresse am Porno? Fragt Kristina Pia Hofer.

Feminists teaching porn

Pornografie, so mag es auf den ersten Blick scheinen, ist eine Art aufgelegtes Aufregerthema für verklemmte Feminist_innen. Machten sich schon bestimmte Fraktionen der sogenannten »alten« Frauenbewegung für die Sittlichkeit und eine strikte Sexualmoral stark, zeigten sich Protagonist_innen bürgerlicher (differenz-)feministischer Couleur während der sogenannten »sex wars« der 1980er abermals deutlich ablehnend gegenüber ihnen als obszön (und vor allem misogyn) erscheinenden expliziten Inhalten. Und auch 2010 finden sich junge, hippe, sich als feministisch verstehende Musikjournalist_innen, die mit viel Herzblut eine »Pornografisierung« der Gesellschaft diagnostizieren, welche für einen großen Teil der globalen weiblichen Bevölkerung, wenn schon nicht in tatsächlicher Versklavung (=erzwungener Sexarbeit), dann zumindest in einem aus Magerwahn und peer group pressure zum lieblosen Gangbang gezimmerten inneren Gefängnis endet (siehe Hilkens 2010).

Die 2000er brachten allerdings auch eine Menge Verwirrung in Bezug auf feministische Theorie über Pornografie. Betrachtete man die Entwicklung zeitgemäßer Diskurse ohne intime Kenntnis aktueller und historischer Debatten über Sex, Repräsentation und Geschlechtergerechtigkeit, in denen es seit jeher (also auch in der oben erwähnten »alten« Frauenbewegung) diskursiv weit diverser herging, als man landläufig annehmen mag, machte plötzlich vieles keinen Sinn mehr. Linda Williams, Autorin des vielzitierten Pionierwerkes Hard Core (1989), veröffentlichte 2004 Porn Studies, eine Sammlung von Aufsätzen von jungen, feministisch geschulten Wissenschafter_innen, welche Pornografie als differenziertes Kulturprodukt beleuchten. Pornodarstellerin und -produzentin Annie Sprinkle avanciert zur hofierten Mama der sich als queer und hochpolitisch verstehenden Post/Porn/Politics-Szene (vgl. Stüttgen 2009 und an.schläge Juni 2010). Gleichzeitig entstanden inmitten der Pornoindustrie Produktionen, die offensichtlich auf aktuelle, queere und feministische Theorien von Sex, Gender und Sexualität wie Beatriz Preciados Kontrasexuelles Manifest (2003) Bezug nehmen, und diese explizit und mit Gusto – man verzeihe mir mein fleischiges Vokabular – verwursten. Was ist bloß mit diesen Feminist_innen los?

Porn teaching feminism

Vorneweg: es gibt weder »den Porno« noch »den Feminismus«. Keines der beiden Phänomene existiert als monolithischer Block, sondern beschreibt jeweils in sich differenzierte Gebilde, deren unterschiedliche Ausprägungen sehr verschiedene Inhalte und Ziele verfolgen können. Die eingangs erwähnten sex wars zeigen dies sehr anschaulich. Die oben skizzierte bürgerliche Position – in den USA ikonisch vertreten durch Catharine MacKinnon und Andrea Dworkin – war bei weitem nicht das einzig mögliche feministische Argument. Sogenannte Sex-Positive Denker_innen argumentierten vehement gegen die von bürgerlichen Protagonist_innen geforderten Verbote. Laura Kipnis zum Beispiel vermeinte in MacKinnon's Ruf nach Zensur einen dem bürgerlichen, akademischen, weißen US-Feminismus impliziten Klassismus zu erkennen, welcher auf eine lebendige, körperorientierte Massenkultur nur mit Panik reagieren könnte (1999). Gayle Rubin warnte ähnlich davor, dass sich im Namen »der« universell sexuell ausgebeuteten Frau leicht Diskurse entwickeln ließen, die diktierten, was nun »guter« Sex (bzw. »Erotik«) und was »schlechter« Sex (bzw. »Obszönität«) sei. Anhand solcher Grenzziehungen, so Rubin, ließen sich dem Welt- und Wertebild des anständigen bürgerlichen Feminismus nicht entsprechende Praktiken – gemeinsam mit den sie praktizierenden Individuen und Gruppen – besonders effektiv an den Pranger stellen (1984).

Ein Beispiel für so eine Grenzziehung wäre das wiederholte Zitieren von Pornografien, welche sich der Inszenierung von Macht im Rahmen von S/M-Praktiken widmet, als Beweisstück in Anti-Porn Debatten. Obwohl diese Inhalte auch in den 1980er Jahren nur einen kleinen Anteil am gesamt produzierten pornografischen Volumen darstellten, wurden sie seitens Dworkin/MacKinnon immer wieder als Evidenz für die Gewalttätigkeit angeblich aller pornografischen Artefakte herangezogen (ohne natürlich auf Kontexte wie zum Beispiel vertragliche Grundlagen solcher Inszenierungen einzugehen, die durchaus gewisses subversives Potential in sich tragen – man führe sich vor Augen, dass Preciados Manifest S/M Verträge zur Grundlage einer gerechten, radikal queeren Neuorganisation von Sexualität vorschlägt). Effekt: S/M Inszenierungen stellten in den 1980ern einen prägenden Inhalt lesbisch identifizierter Pornografie dar – und wurden besonders als »gewalttätige« und somit verfolgungswürdige Artefakte sichtbar. Bedrohliche Konsequenzen hatte die so geführte Debatte also nicht für den oft beschworenen gewaltgeilen Geiferpatriarchen, sondern für einen bestimmten Teil einer autonomen, lesbischen Community.

Was kann also feministische Argumentation von Pornografie lernen? Zumindest anhand der Debatte um die Produktion und Konsumation pornografischer Inhalte lässt sich die Gretchenfrage einschlägiger Projekte durchdeklinieren: die Verhandlung dessen, was denn nun eigentlich das Subjekt feministischer Theorie und Praxis sei, bzw sein darf. Welche Ein- und Ausschlussmechanismen werden wirksam? Wer ist ein der Allianz würdiges Subjekt? Welche Modifikationen des feministischen Theorie- und Politikkorpus braucht es, um mit einer_m Pornodarsteller_in zu alliieren, die_der sich als reflektierter (Sex-)Arbeiter versteht, und nicht als Opfer einer menschenverachtenden Industrie?

All's well what ends well, then?

Ist Pornografie 2011 also als uneingeschränkt toll zu betrachten, muss sie jede_r gut finden, und sind alle, die beim YouPorn surfen immer noch ein latent unangenehmes Gefühl empfinden, rückständig? Natürlich nicht. Abseits von queeren Appropriationen von »klassischen« Pornoinhalten (siehe zB eine Re-Inszenierung von Damianos Deep Throat in Courtney Troubles Nostalgia (2009)) bzw. radikalem Post Porn à la Buckangel gestalten sich viele Inhalte, vor allem auch jene vielbeschworenen user-generierten Videos, die online und gratis zur Verfügung stehen, verdächtig normativ. Es handelt sich bei der gegenwärtigen, nicht von vornherein Zensur und Exploitation schreienden feministischen Abtastung des Feldes nicht um eine reine Hurraveranstaltung, in der eine Art aufgeklärter (weil pro-sex bzw sexy) über eine Art rückständigen (weil wehleidig und lustfeindlichen) Feminismus triumphiert, und alle haarigen Fragen in Bezug auf Bildpolitiken mit dem blanken Arsch vom Tisch wischt. Auch feministische Debatten ziehen keine teleologischen Verlaufsbahnen. Es kann also weniger um pro vs. kontra bzw aufgeklärt vs. verzopft gehen. Eine spannende gegenwärtige feministische Diskussion von Pornografie beschäftigt sich viel eher mit einer Differenzierung der Betrachtungsweise des Gegenstands. Andrea B. Braidt zum Beispiel klopfte unlängst eine straighte Mainstream-Produktion auf ihren narrativen Gehalt und die damit einhergehenden Möglichkeiten zur mehrfachen Fokalisierung ab, um eine sinnvolle Alternative zur psychoanalytisch inspirierten, in feministischen Film-Studies seit den späten 1970ern den Ton angebenden Prämisse des (gewaltvollen) männlichen Blicks auf das Spektakel des weiblichen Körpers vorzuschlagen (2009). Susanna Paasonen (2007) beschäftigt sich mit Affekten und Körperlichkeiten, die Rezipient_innen (auch und gerade jene, die sich im Rahmen einer Forschungsarbeit mit Porno beschäftigen) packen und beuteln können. Und Florian Voros zeigt in einer Feldstudie, wie wir Pornoschauen als soziale Praxis begreifen können, anstatt immer nur vor den negativen Effekten einer vermeintlichen Erregungsüberflutung zu warnen. Auzuhandeln gibt es also noch genug. Wie schön, dass es an Anschauungsmaterial nicht fehlt.

Referenzen

an.schläge Heft Juni 2010
Braidt, A. B. (2009): Erregung erzählen. Narratologische Anmerkungen zum Porno. In: montage A/V 18; 2; 2009
Hilkens, M. (2010): McSex. Die Pornifizierung unserer Gesellschaft. Berlin: Orlanda Frauenverlag.
Kipnis, L. (1999): Bound and gagged. Pornography and the politics of fantasy in America. Durham u.a.: Duke University Press.
Stüttgen, T. (2009): Post/Porn/Politics. queer_feminist perspective on the politics of porn performance and sex_work as culture production. Berlin: b_books.
Paasonen, S. (2007): Strange Bedfellows: Pornography, affect and feminist reading. In: Feminist Theory 2007; 8; 43
Preciado, B. (2003): Kontrasexuelles Manifest. Berlin: b_books.
Rubin, G. (1984): Thinking Sex. Notes towards a radical theory of the politics of sexuality. In: N. Badmington [Hrsg.] (2008), The Routledge critical and cultural theory reader. London u.a.: Routledge
Voros, F. (forthcoming): How to cartography men's porn consumption from a queer perspective? Reflections from a French sociological fieldwork. IX MAGIS International Film Studies Spring School, Gorizia 2011
Williams, L. (1989): Hard Core. Power, Pleasure and the 'Frenzy of the Visible.' Berkeley u.a.: University of California Press.
-”- [Hrsg.] (2004): Porn Studies. Durham u.a.: Duke University Press.


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Kristina Pia Hofer ist an der JKU Linz im Bereich Geschlechterforschung tätig, und verfasst derzeit eine Dissertation zu Amateurpornografie an der Universität für Angewandte Kunst in Wien.