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»Hedwig And The Angry Inch«
James
Cameron Mitchells grellbuntes Glam-Rock-Musical lässt Queer-Theories
tanzen. Auch bei der Sommerkino-Filmlecture am 24. August um 21.00
Uhr an der Donaulände vor der Stadtwerkstatt (bei Schlechtwetter
im Saal). Didi Neidhart stellt den Film vor.
Als Lady Gaga
vor wenigen Monaten ihre Single »Born This Way« veröffentlichte,
musste sie vor allem von Seiten queerer Aktivist_Innen (die Lady Gaga
bis dato alles andere als abgeneigt waren) herbe Kritik einstecken.
Grundtenor: Was soll bitte dieser essentialistische Scheiß?
Meinte die Madonna-Vorlage »Express Yourself« noch eine
Aufforderung zu »Doing Gender«, so postulierte Lady Gaga
nun ein reaktionäres »Ich bin halt so wie ich bin«
und forderte zudem »Don't be a drag/Just be a Queen«.
Andererseits ließe sich das alles auch anders deuten. Nicht
als »Ich wurde/bin so geboren« (wo es auch keine Änderungen,
sondern nur noch Selbstoptimierungen braucht), sondern als »Ich
war so geboren« (als instabiles Subjekt mit unterschiedlichem
Begehren), das jetzt halt mal so tut, als wäre es »Born
This Way«.
Womit wir bei »Hedwig And The Angry Inch«, dem 2001er
Spielfilm-Debüt des spätestens seit seinem 2006 veröffentlichten
Queer-Klassikers »Shortbus« einschlägig bekannten
und geschätzten James Cameron Mitchell (der hier auch die Hauptrolle
spielt) gelandet wären.
Erzählt wird dabei die Geschichte eines in Ost-Berlin aufgewachsenen
»girly boy« namens Hänsel, der sich seiner Gender-Identität
alles andere als sicher ist. Immerhin gibt es erste Orientierungshilfen
eines Lebens jenseits des tradierten Boy/Girl-Schemas via West-Radio
und dem dort zu hörenden David Bowie. Als sich ein US-Sergeant
in Hänsel verliebt, scheint der Weg in den goldenen Westen (bzw.
dem, was sich Hänsel anhand von Bowie-Songs darunter zusammen
fantasiert hat) zum Greifen nahe. Jedoch braucht es zur Hochzeit und
der damit verbundenen Ausreise aus der DDR noch einer kleinen Operation.
Und die geht gründlich schief. Zwar ist aus Hänsel nun Hedwig
geworden, aber der übrig gebliebene, dysfunktionale »angry
inch« zwischen ihren Beinen schleudert sie nun in noch mehr
Gender Troubles als zuvor. Auch Westen ist nicht so golden wie erwartet.
In einem Trailercamp in Kansas nahe einer Army-Base wohnend, wird
sie am ersten Hochzeitstag von ihrem Sergeant wegen eines anderen
Mannes verlassen. Wenige Tage später fällt die Berliner
Mauer Hänsels/Hedwigs Operation erscheint nun noch mehr
als unnötiges Unterfangen. Auch weil sich Hedwig selber nicht
sicher ist, ob sie nun »wirklich« ein Mann/eine Frau sein
möchte. Nicht umsonst kommt sie dabei immer wieder auf die Rede
von Aristophanes in Platos »Symposium« zu sprechen (so
auch im Song »The Origins Of Love«) wo es um jenen klassischen
Mythos geht, der besagt, dass die Menschen einmal zweigeschlechtlich
waren und nur von bösen Göttern in Männer und Frauen
geteilt wurden.
Es ist daher kein Zufall, dass Hedwig ein Popstar werden will. Nicht
nur, um vom Westen doch noch etwas Gold/Geld ab zu kriegen, als vielmehr,
weil sie hier als Performerin das Spiel der Maskeraden, Transformationen
und Rollenwechsel bis zur extravaganten Groteske ausreizen kann. Was
mit einer in Waschsalons aufspielenden Band aus Koreanischen Army-Hausfrauen
beginnt, kommt jedoch zuerst nicht weiter als zur »Internationally
ignored" Band Hedwig & The Angry Inch einer Gruppe
osteuropäischer Drop Outs, deren Gender Troubles denen von Hedwig
nicht wirklich nachstehen. Gespielt wird in Coffee-Bars, Shopping
Malls und Fast Food-Lokalen. Nicht unbedingt glamouröse Orte
jedoch von Cameron in Szene gesetzt, als würden wir die
»post-punk neo-glam rock«-Version eines grellbunten MGM-Musicals
aus den 1940er/1950er Jahren sehen. Und das nicht ohne Grund. Denn
ursprünglich war »Hedwig and the Angry Inch« ein
erstmals 1998 in New York aufgeführtes Off-Broadway-Musical,
dass es in kurzer Zeit zu einer ebenso beträchtlichen wie verschworenen
Fan-Gemeinde brachte. Schon zu den Theatervorstellungen kamen die
Leute in selbst gemachten Hedwig-Outfits und überdimensionierten
Hedwig-Wigs (also Perücken).
Als der Film dann 2001 in die Kinos kam, konnte er daher auch schon
auf eine Fan-Basis bauen, die jede Vorstellung zu einer Party machte,
wie es sie zuvor eigentlich nur bei den Mitternachtsvorstellungen
der »Rocky Horror Picture Show« gab.
Dabei taten die über 40 Kostüm- und Perückenwechsel
sowie die umwerfenden Karaokemomente ihr Übriges. Als wunderbares,
surreales wie campes Glam-Rock-Musical erneuert »Hedwig And
The Angry Inch« nicht nur das Musical-Genre (bis hin zu subtilen
Einflüssen bei TV-Serien wie »Glee«), sondern zeigt
auch eine unangestrengte diskursive Ernsthaftigkeit, die queeres Denken
und Leben nicht einfach als Art Kostümball schriller Freaks,
sondern als durchaus schmerzhaften Kampf um Anerkennung abhandelt.
Die »Chicago Sun-Times« schrieb dazu ganz richtig: »Strange,
how the movie seems to be loud, flashy and superficial, and yet gives
a deeper dimension to its characters.«
Und Lady Gaga schenken wir eine DVD davon.
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Didi Neidhart ist Chefredakteur von »skug
Journal für Musik« www.skug.at
und lebt in Salzburg.
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