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Das Einfache, das schwer zu machen ist
Lars
Quadfasel über den Autor und Journalisten Dietmar Dath.
Dietmar Dath macht
es einem nicht schwer, es sich mit ihm leicht zu machen. Zum gefeierten
literarischen Klassenkämpfer brachte er es ausgerechnet in der
Frankfurter Allgemeinen, in der er als Redakteur den Bour-geois mit
Leninismus, Drastik und Heavy Metal mit wohligem Nervenkitzel versorgen
durfte. Seine Romane finden im Kulturbetrieb stets begeisterte Aufnahme,
während sein Name mal unter Wahlaufrufen für die Linkspartei,
mal unter strunzdummen Proklamationen für die Rettung der »afghanischen
Kultur« vor der Bundeswehr prangt. Als Theoretiker bewegt sich
Dath nicht auf dem Feld der Fetischkritik, sondern, ganz traditionell,
auf dem des Staates: in den Koordinaten von Demokratie, Gesellschaftsvertrag
und Kommunistischer Partei. Umsturz, so erfährt man in seiner
Streitschrift Maschinenwinter, wäre die Russische Revolution
noch einmal nur diesmal in einem hochindustrialisierten Land
und mit »wünschenswerten Sicherungen« gegen die Umwandlung
der Berufsrevolutionäre in »Dauerkommandeure«. Seine
Rosa-Luxemburg-Biographie verrät, ganz in diesem Sinne, dass
er viel lieber eine über Lenin geschrieben hätte. Nicht
nur diesem gibt er in fast jedem Punkt seiner Luxemburg-Kritik recht;
auch Stalins Verdammungsschriften hält Dath, wenn auch für
instrumentell, so doch für »gar nicht dumm«. Nur
konsequent also, dass der Autor zum Liebling noch der regressivsten
Fraktionen der deutschen Linken avanciert ist etwa der vulgärtrotzkistischen
»Marx21«-Strömung, die in der Linkspartei immer noch
eine Spur antiisraelischer und Hamas-freundlicher agiert als andere
Strömungen, und auf deren »Marx is muss«-Kongress
2011 Dath den Stargast gibt.
Ein postmoderner Revisionist also, dessen unbestreitbare Formulierungs-künste
den Politneandertalern bauchpinseln und der herrschenden Klasse Abwechslung
verschaffen, wenn die Geistlosigkeit in den eigenen Reihen zu unerträglich
wird? Mag sein, dass das Phänomen Dath wirklich nur belegt, wie
wenig sich doch die Identitätsbedürfnisse autoritärer
Linker und antiautoritärer Bürger unterscheiden. Wären
da nicht immer wieder Gedanken, die nicht bloß was ja
keine Kunst ist richtig, sondern wahr sind. Daths Prosa enthält,
in ihrem forciert selbstreflexiven Sprach- und Bewusstseinstrom, Passagen
voller Hellsicht und Zartheit: darüber, wie unendlich es schwer
es ist, über den kollektiven Wahnsinn nicht dem individuellen
zu verfallen und wie kostbar also die Formen des Standhaltens: das
Denken, die Liebe, die Solidarität sind.
Dieser nachgerade leibhaftige Impuls trägt auch Maschinenwinter,
Daths politisches Manifest. Nicht jedoch im Sinne eines Herz-Jesu-Mitleids-Marxismus.
Ganz im Gegenteil. Sozialismus ist für Dath keine Frage der Moral,
sondern kokett traditionalistisch eine der Wissenschaft:
Einsicht in die Notwendigkeit. »Ich habe«, heißt
es an prägnanter Stelle, »nichts gegen Egoisten. Bloß
ein bisschen egoistischer dürften sie sein«: nämlich
ein bisschen interessierter daran, die Früchte des technischen
Fortschritts zu genießen, statt sich von dessen unbegriffener
Macht überrollen zu lassen.
Was Dath, gegen postmodernen Relativismus und alternatives Schrebergartenidyll,
wiederherstellen will, ist jenes Bündnis von Revolution und Naturwissenschaften,
wie es, bevor es an Gaskriegen, Rassebiologie und industrialisierter
Vernichtung zerschellte, einst die Arbeiterbewegung geprägt hatte.
Deren naiven Produktivismus freilich will auch Dath nicht zurück.
Die von ihnen hervorgebrachten Erzeugungskräfte sollen die Menschen
ja nicht bestaunen, sondern begreifen. Unterm Kapital nämlich
werden, so Dath, »die Mittel beredt«: »Man sieht
den Maschinen an, was sie könnten.«
Insofern Technik aber, als das »in gesellschaftlicher Praxis
gesetzte Verhältnis von Freiheit und Notwendigkeit«, etwas
wesentlich Soziales ist, kündet sie zwar von der menschlichen
Fähigkeit, Geschichte zu schreiben aber eben nur im Potentialis.
Weil der Kapitalismus dieses Potential, das er freisetzt, zugleich
beständig dementiert, schlägt der technische Fortschritt
genauso naturwüchsig, wie er vonstatten geht, in die Zerstörung
um, verheerender und gnadenloser, als die Katastrophen der ersten
Natur je zu wüten vermöchten. (Und das keineswegs, wie Dath
uns erinnert, nur in den Kahlschlagzonen der Dritten Welt. Auch im
amerikanischen Mittleren Westen, wo die Supermärkte nicht mehr
ohne Auto zu erreichen sind, häufen sich unter Armen und Alten
die Mangelerkrankungen).
Antinaturalismus ist daher der grundlegende Zug Daths politischer
Theorie. Partei ergreift er stets gegen das Organische und für
das Künstliche: die Technik, die Planung, den kategorischen Imperativ,
den Menschen1. Das erhellt in manchem selbst das Problematischste,
das Denken in den Formen der Souveränität. Auch der Staat
gilt Dath, Peter Hacks folgend, als artifiziell; genauso wie Lenins
»Partei neuen Typs«. In ihr seien die Techniken der Avantgarde,
die Arbeit an den Mitteln und Formen, aus der Sphäre der Kunst
in die der Politik übertragen worden als bewusster Bruch
mit der Ideologie der Zweiten Internationalen, der Sozialismus komme
schon von ganz allein. Daths Verteidigung der Bolschewiki geht in
dogmatischem Chic nicht auf. Es artikuliert sich darin ebenso der
Wider-spruch gegen den Determinismus der Sozialdemokratie wie gegen
den Romantizismus von der urwüchsigen Spontaneität der Massen:
gegen die Vergötzung des blinden Geschichtsprozesses.
Geschichte im emphatischen Sinne, hält Dath fest, versteht sich
nicht von selbst, sondern hat nur statt als von Menschen gesetzte:
»Auf ein Ziel hinarbeiten und sich dabei zu den gegebenen Tatsachen
zu verhalten, als wären es schon Mittel zur Erreichung dieses
Ziels.« Nur rekursiv, d.h. nicht als Feststellung, sondern als
Losung, sei auch der berühmte Satz des Kommunistischen Manifests,
alle Geschichte sei eine Geschichte von Klassenkämpfen, zu verstehen.
Wo es bloß um Religions- oder Gebietsstreitigkeiten gehe, sollte
man, sagt Dath, gar nicht erst von Geschichte reden. Erst, wenn die
Menschen ihre Interessen nicht »als Deutsche oder als Linkshänderin«
artikulieren, sondern bezogen auf ihre Stellung im Produktionsprozess,
im Hinblick also auf ihre Fähigkeit, allseitigen Reichtum zu
erschaffen, eröffne sich der Horizont des Gattungswesens.
Quasi im Vorübergehen treibt Dath dem von Generationen arbeitertümelnder
Linker verhunzten Begriff des Klassenbewusstseins seinen regressiven
Ballast aus, den furchtbaren Kleine-Leute-Stolz. Und so ist Maschinenwinter
immer dort am besten, wo es sich auf scheinbar hoffnungsloses Terrain
begibt. Mit leichter Hand erledigt er etwa den spätestens seit
1989 fest verankerten Gemeinplatz, arbeitsteilige gesellschaftliche
Produktion sei viel zu komplex, als dass sie sich überhaupt planen
ließe. Denn natürlich werde in den Chefetagen der Konzerne
nicht einfach auf die unsichtbare Hand vertraut, sondern geplant;
weswegen sich der Gemeinplatz auf die Behauptung reduziere, die Plebejer
seien einfach zu dumm dafür. Dass die Mehrheit der Menschen aus
Idioten bestünde, könne man zwar, schreibt Dath, nicht abtun:
Angesichts dessen, was sich die meisten gefallen ließen, spräche
ja empirisch viel dafür. Wem es andererseits aber gelingt, »durch
den gegenwärtigen Arbeitsmarkt oder das ausgeweidete Sozialstaatsskelett
zu navigieren«, ohne unterzugehen, sei allemal auch in der Lage,
»die Zügel gleich ebensogut selbst in die Hand zu nehmen«.
Schlechter als durch deren jetzigen Sachwalter jedenfalls sind die
Geschäfte der Menschheit wohl kaum zu erledigen. Zur Bewusstlosigkeit
des Ganzen gehört zwingend die Borniertheit im einzelnen: Es
können die Kapitalisten gar nicht anders, als sich aufzuführen,
»als gehörten sie nicht zur Menschheit«. (»Na
schön«, ergänzt Dath lapidar.)
Das mag alles nicht grundstürzend neu sein; und wem es um originelle
Entdeckungen aus den Tiefen der kapitalen Nebelregionen zu tun ist,
wird Daths Texte nur enttäuscht beiseite legen können. Wahrheit
aber ist nicht bloß eine Sicht der Dinge, sondern eine Haltung
zur Welt. Insofern geht es in Maschinenwinter um etwas ganz Basales:
um die Aktualisierung des Brecht'schen Diktums, der Kommunismus sei
das Einfache, das schwer zu machen ist.
Einfach nicht in jenem fatal didaktischen Sinne, der bei
Linken so gerne »Vermittlung« heißt; darüber,
wieviele Proleten sein Traktat lesen werden, macht der Autor sich
keinerlei Illusionen. Sondern einfach im Sinne der Voraussetzungen,
die es braucht, die Welt als Domäne meines Willens verstehen
zu können: als Bedingung, um überhaupt bei Sinnen zu bleiben.
Im Angesicht jenes endlosen Horrors namens Weltgeschichte kann die
Vernunft meist gar nicht anders, als sich ins Schneckenhaus zurückzuziehen
und sich mit Sophistereien Fragen der mittelalterlichen Lyrik
oder der Marx'schen Methode die Zeit zu vertreiben. Ohnmacht
macht leicht wunderlich: Wo kein Gedanke zur Wirklichkeit drängt,
ist die Anstrengung, die es braucht, das Wesentlichste in seiner Evidenz
zu fassen, kaum zu ermessen.
Das kommt nicht ohne Preis. So unmissverständlich Dath darauf
beharrt, dass zur Einsicht in die Notwendigkeit auch die in die Alternative
von Sozialismus und Barbarei gehört; so illusionslos er daher
nachzeichnet, wie der unbegriffene Fortschritt die Technik in schwarze
Magie verwandelt, die nach dem ihr gemäßen mythischen Fundament,
einem »kybernetischen dunklen Zeitalter«, verlangt
so sehr muss er zugleich verdrängen, dass, nach Adornos Worten,
die Barbarei nicht mehr droht, sondern bereits stattgefunden hat.
Auschwitz kommt in Maschinenwinter nicht vor. Damit aber genausowenig
der Antisemitismus als negativer Gradmesser der Freiheit; überhaupt
die Frage, wie es der Menschheit seit 150 Jahren gelingt, sich gerade
nicht als Gattung zu konstituieren. Es ist, als wäre die negative
Aufhebung der Klassengesellschaft im nationalsozialistischen Mordkollektiv
spurlos an der Theorie vorübergegangen.
Leicht, Dath sein diesbezügliches Versagen vorzurechnen. Wiederum
vielleicht etwas zu leicht. Kommunismus wird nach der Shoah nur als
revolutionäres Eingedenken der Toten zu haben sein: Ausdruck
der Tatsache, dass er weltgeschichtlich zu spät gekommen ist.
Zugleich aber bleibt Kommunismus der Name für den Wunsch, die
blutige Vorgeschichte der Menschheit, den »Alp der toten Geschlechter«,
endlich hinter sich zu lassen, nicht mehr auf die Vergangenheit gebannt
zu sein. In diese Aporie treibt Dath, ob gewollt oder nicht, seine
Leser hinein. Sie auszutragen, taugen freilich weder Feuilleton noch
Linkspartei.
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Dietmar Dath, Maschinenwinter. Suhrkamp 2008, 133
S., 10,- Euro
Dietmar Dath, Rosa Luxemburg. Leben Werk Wirkung. Suhrkamp
2010, 153 S., 8,90 Euro
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[1] Der schließlich alles andere als eine
Naturtatsache ist, sondern etwas Herzustellendes: Menschen sind, nach
Daths schöner Definition, aus anderen Menschen zusammengesetzt.
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Lars Quadfasel ist assoziiert in der Hamburger Studienbibliothek
und in der Gruppe »Les Madeleines«. Seine Aufsätze
zu »Buffy the Vampire Slayer« sind kürzlich im Sammelband
»Horror als Alltag« (Verbrecher Verlag 2010) erschienen.
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