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»Ich hab ja nichts zu verbergen«
Ende
April wurde das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung nun auch vom österreichischen
Nationalrat, mit den Stimmen der Regierungsparteien, beschlossen.
Von Peter Wagenhuber.
2006 wurde unter den Eindrücken der Terroranschläge auf
das WTC, und danach in London und Madrid, von der EU die Richtlinie
zur verdachtsunabhängigen Speicherung der Kommunikationsdaten
aller Bürger/innen (»Data Retention«), bei uns unter
dem Namen Vorratsdatenspeicherung bekannt, beschlossen.
Nun wurde diese Richtlinie auch in österreichisches Recht umgesetzt.
Am 1. April 2012 soll das Gesetz (eigentlich sind mehrere Gesetze
davon betroffen: das Telekommunikationsgesetz, in dem die Speicherungsrahmen
definiert werden, und das Sicherheitspolizeigesetz und die Strafprozessordnung,
die den Zugriff auf die Daten regeln) in Kraft treten.
Was bedeutet Vorratsdatenspeicherung?
Vorratsdatenspeicherung bedeutet, dass für sechs Monate verdachtsunabhängig
alle Kommunikationsverkehrsdaten, jedoch nicht der Inhalt der Kommunikation
(bei E-Mail z.B.: Name, Mailadresse und Anschrift von Sender/in und
Empfänger/in, aber nicht der Inhalt der E-Mail) von den österreichischen
Providern gespeichert und bei Bedarf den Strafverfolgungsbehörden
ausgehändigt werden müssen.
Hier eine verkürzte Auflistung der Daten, die gespeichert werden
sollen1:
Wer mit wem wie lange von wo aus telefoniert
Wer wem eine E-Mail schreibt
Teilnehmerkennung des Anschlusses bei Internetverbindungen
Klingt doch erstmal gar nicht so schlimm, und wenn wir damit dann
all die fiesen Terroristen, die uns täglich in Angst und Schrecken
versetzen, fangen können, ist das doch eine tolle Sache.
Wir sollen nun wieder einmal ein kleines Stück unserer (von Anderen
hart erkämpften) Freiheit abgeben und dafür ein größeres
Stück Sicherheit bekommen.
Bei genauerer Betrachtung sieht es mit Freiheit, Sicherheit, Terror
etc. aber ganz anders aus.
Ein großer Teil unserer Kommunikation, und damit auch ein großer
Teil der persönlichen Beziehungen, der politischen Willensbildung,
der Informationsbeschaffung, etc., findet über digitale Datennetze
statt. Die digitale Vernetzung hält in immer mehr und auch intimere
Lebensbereiche Einzug. Mithilfe der bei der Vorratsdatenspeicherung
anfallenden Daten lässt sich somit ein beträchtlicher Teil
des Lebens der letzten sechs Monate nachvollziehen. Am Beispiel des
deutschen Politikers Malte Spitz, der seine Vorratsdaten von der Telekom
einklagte und der »Zeit Online« zur Verfügung stellte,
lässt sich dies auch gut veranschaulichen2.
Auf der Website www.zeit.de
kann mensch sechs Monate des Lebens von Malte Spitz, seine Aufenthaltsorte
und, unter Zuhilfenahme von öffentlich verfügbaren Daten,
wie Blogeinträgen, Twitter-Nachrichten, etc. auch Informationen
zu dessen täglichen Aktivitäten abrufen.
Einen wesentlichen Aspekt lässt die Darstellung auf der Website
aber (verständlicherweise) noch vermissen. Die Abbildung von
sozialen Beziehungen. Für die Ermittlungsbehörden ist natürlich
auch genau einsehbar wie oft, wie lange, wann, von wo aus mit welcher
Person telefoniert wird. Dies lässt auch Rückschlüsse
auf das soziale Umfeld und die Art der Beziehung zu einer gewissen
Person zu.
Schon alleine das verdachtsunabhängige Speichern der Verbindungsdaten
stellt also einen massiven Eingriff in unsere Privatsphäre dar.
Dies ist nach Ansicht einiger Juristen sowie auch so manchem Verfassungs-gericht
anderer EU-Mitgliedsstaaten (z.B.: Rumänien und Tschechien) nicht
mit den Grundrechten (vor allem nicht mit dem Recht auf Privatsphäre)
vereinbar, bzw. absolut nicht verhältnismäßig.
Zur Terrorismusabwehr und zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens
sind diese Maßnahmen völlig ungeeignet, da sich die Überwachung
mit ein wenig technischem Verständnis auch umgehen lässt.
Inhaltlich bedeutet die flächendeckende Speicherung unserer Kommunikationsdaten
aber
auch noch mehr. Es bringt ein riesengroßes Misstrauen des Staates
gegenüber seinen Bürger/innen zum Ausdruck. Jede/r könnte
ein potentielle/r Schwerverbrecher/in sein, alle sind (potentiell)
verdächtig.
Außerdem erzeugt andauernde Überwachung Konformitätsdruck.
Das bedeutet, dass sich Menschen, die sich ihrer Überwachung
bewusst sind, eher so verhalten, wie sie denken, dass es von ihnen
erwartet wird. Das kann auch dazu führen, dass viele ihre Grund-rechte,
wie zum Beispiel das Recht auf freie Meinungsäußerung,
gar nicht mehr wahrnehmen.
Die Speicherung der Daten
ist schon problematisch genug, aber schließlich wollen diese
doch für den Kampf gegen den Terrorismus und das organisierte
Schwerstverbrechen verwendet werden. Daher müssen sie auch ausgewertet
werden.
In den zur Vorratsdatenspeicherung gehörenden Novellen zum Sicherheitspolizeigesetz
bzw. zur Strafprozessordnung ist geregelt, wer unter welchen Umständen
Zugriff auf die gespeicherten Daten bekommt.
Die österreichische Regierung hat immer wieder betont, dass die
österreichische Umsetzung der EU-Richtlinie eine Minimalum-setzung
sei. Das ist nur insofern richtig, als sich dabei auf die reine Dauer
der Speicherung der Daten bezogen wird. Wenn es um den Zugriff auf
die Daten geht, ist die österreichische Umsetzung sehr großzügig
gegenüber den Ermittlungsbehörden.
Gerichte, Staatsanwaltschaften und Kriminalpolizei dürfen schriftlich
an die Provider mit einer Anfrage wegen der Vorratsdaten herantreten.
Dies ist zulässig für Ermittlungen und Verfolgungen von
Straftaten, die mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht
sind.
Die Beauskunftung von Namen etc., die zu einer IP-Adresse (weltweit
eindeutige Nummern, die der elektronischen Kommunikation unter Computern
dienen) gehören, ist nicht durch eine minimale Schwere der damit
im Zusammenhang stehenden Straftat beschränkt. Auch ist dafür
meist nicht einmal die Einwilligung eines Gerichtes notwendig.
Hm... »Mehr als einjährige Freiheitsstrafe«. Ist
das die Definition von »schwerem Verbrechen«? Eigentlich
gelten in Österreich erst »vorsätzliche Handlungen,
die mit lebenslanger oder mit mehr als dreijähriger Freiheitsstrafe
bedroht sind« als Verbrechen. Alle anderen strafbaren Handlungen
gelten als Vergehen. Vorratsdatenspeicherung für mittelschwere
Vergehen klingt politisch aber nicht so gut.
Daten zu sammeln und auszuwerten ist nicht erst seit dem Internetzeitalter
ein beliebter Sport in Wirtschaft und Verwaltung. Immer wieder kommt
es dabei auch zur missbräuchlichen Verwendung dieser. Wie dieser
Missbrauch aussieht und wo die Grenze zwischen legitimen Gebrauch
und Missbrauch liegt, ist oft schwer zu sagen. Auf alle Fälle
ist es problematisch, wenn Daten über Personen gesammelt werden,
die in weiterer Folge keine Möglichkeit haben herauszufinden,
was genau gesammelt wird bzw. wurde und auch keinen Einfluss und keine
Information darüber haben, in welcher Weise diese Daten miteinander
verknüpft werden.
In einem Staat wie Österreich sind viele Menschen geneigt zu
sagen, »Ich hab ja nichts zu verbergen«. Wenn aber wie
wild Daten gesammelt und von Ermittlungsbehörden auf oft pathologisch
paranoide Weise interpretiert werden, werden viele zum Ziel von Ermittlungen.
Die Beispiele des Prozesses gegen einige Tierschützer, oder die
Ermittlungen gegen ein paar Künstler/innen, die sich mit dem
Problem des rassistischen Abschiebungswesens in Österreich beschäftigen,
belegen dies3.
Wenn schon Daten gesammelt werden, entstehen auch Begehrlichkeiten
von anderer Seite. Frei nach dem Motto: Wo ein Trog ist, da kommen
die Schweine. Die Content-Mafia hätte sicher auch gern Zugriff
auf diese Daten, um die schwerst kiminellen Legionen von Raubkopierern
endlich alle hinter Gitter zu bringen.
Eventuell sind die gesammelten Daten auch für Kriminelle interessant,
oder werden auch über Korruption erlangt (sowas soll es ja auch
in Österreich geben!). Wie sieht es da mit den Sicherheitsvorkehrungen
aus? Wie alle computerinteressierten Menschen wissen, gibt es kein
100%ig sicheres Computersystem oder Netzwerk, und schon gar keine
heiligen oder perfekten Menschen, die diese Systeme betreiben und
warten. Es kann auch durchaus passieren, dass Daten unabsichtlich
durch Fehler oder menschliches Versagen, wie es immer so schön
heißt, an die Öffentlichkeit gelangen4.
Zusammenfassend bleibt zu sagen, die Speicherung all dieser Kommunikationsdaten
ist zum einen weder geeignet das zu leisten, was Politiker/innen vorgeben
damit erreichen zu wollen, noch vereinbar mit dem Grundrecht auf Wahrung
der Privatsphäre und zum anderen kann nicht garantiert werden,
dass diese Daten nicht missbräuchlich und sehr zu unserem Nachteil,
sei es nun böswillig oder unabsichtlich, verwendet werden. Es
gilt dagegen aufzustehen und zu protestieren5.
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[1] Genauere Informationenen dazu gibts unter http://de.wikipedia.org/wiki/Richtlinie_2006/24/EG_ber_die_Vorratsspeicherung_von_Daten
[2] Eine Virtuelle Reise durch sechs Monate des Lebens von Malte Spitz
gibts unter http://www.zeit.de/datenschutz/malte-spitz-vorratsdaten
[3] Siehe dazu auch http://www.profil.at/articles/1106/560/288752/enormes-sicherheitsrisiko
[4] Hierzu gibt es unzählige Beispiele von Behörden und
auch Geheimdiensten, die Daten auf Laptops oder mobilen Datenträgern
(USB Sitcks) »verloren« haben.
[5] Es gibt einige Plattformen im Internet,
unter denen sich der Widerstand gegen diese Gesetze formiert. Unter
anderem auf www.akvorrat.at
oder www.gegenvds.at
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Peter Wagenhuber ist Aktivist und Netzwerkadmin bei servus.at.
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