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Projection Screens
Doris
Mitterbacher aka Mieze Medusa über das neue Album der Linzer
Künsterin Cherry Sunkist.
Cherry Sunkist mag Soundflächen und Songlines. Verzerrung. Verstörung
auch. Sie mag Gitarren, wenn sie nicht klingen wie Gitarren, und sie
mag das, was man so gern, es sich ein wenig leicht machend, als elektronische
Musik bezeichnet. Aber ums Leichtmachen geht es nicht bei Cherry Sunkist.
Es geht nicht um Unterhaltung (unsere), um Pop aber schon. Expression
ist ein Riesenthema. Was wir (die ZuhörerInnen) dann aber mit
dem Ausgedrückten machen, ist unsere Sache. Das ist genauso klug
wie außergewöhnlich.
Cherry Sunkist schafft Projektionsflächen. Dazu gehört auch,
dass die Stimme zwar die Songs dominiert, trotzdem aber ziemlich in
den Hintergrund geschoben wird. Leicht verzerrt, Lyrics schwer verständlich.
Was auch am Gesangsstil liegt: Vokale werden an überraschenden
Stellen gedehnt, die Stimme wird als Instrument eingesetzt, nicht
als Sinnträger. Das ist, siehe Albumtitel, nur konsequent. Gleichzeitig
ist Wiederholung ein sich durchziehendes Stilmittel. Manche Songs
(BODY z.B.) kommen mit wenigen, sich immer wieder wiederholenden Worten
aus, das titelgebende (PROJECTION SCREENS) benötigt immerhin
14 Zeilen. Für jemanden wie mich, die ihre Hörgewohnheiten
an Vielrednern geschult und im HipHop angesiedelt hat, ist das verblüffend
genug. Es funktioniert aber auf Song- und auf Albumlänge. Worte
und Sätze werden wiederholt, neu interpretiert, mit unterschiedlicher
Instrumentierung unterlegt. Durch diese Wiederholung und Abwandlung
erzeugen sich Slogans, Bauchgefühle und Begrifflichkeiten. Bilder
beginnen in den Köpfen zu kreisen.
OLD PARTS erinnert an die frühe PJ Harvey, mit seiner scheinbösen
Hard-Core-Gitarre, die sich furios steigert bis zum Full Stop. Danach
geht es bittersüß und melancholisch weiter. Möglicherweise
ein Liebeslied, auch wenn es genauso möglicherweise davon erzählt,
dass uns die Füße eingeschlafen sind und die Arme und der
Mund, die Nase, der Schädel und das Herz.
Und wenn wir schon bei Melancholie sind: Das melodiöse und sehnsüchtige
SHE nimmt uns mit ins Nachtleben. Dort wird verlangsamt getanzt, dort
verliert man sich und sehnt sich nach dem Gefundenwerden. Der Beat
ist dezent, aber treibend. Eine Frau, wartend an der Bar, ein besungenes
DU und die beobachtende Sängerin: »What are you waiting
for?« Wer genau damit gemeint ist, bleibt natürlich offen.
Wir sind eingeladen, uns selbst und unsere eigenen Beobachtungen in
das Szenario zu projezieren.
Und während sich bei DOG/DOLL jede Menge hinter den wabbernden
Flächen versteckt, das sich bei Gigs wohl besser herausschälen
lässt, als über die Wohnzimmeranlage, geht es bei WEEPING
OVER MY IDEALS konkret zur Sache: Mit wunderbarer Stimmarbeit lässt
Cherry Sunkist da ihr Weltbild in Teile zerfallen: Stereotype, Rollenvorstellungen
und vorgefasste Meinungen. Dagegen halten kann man das eigene, die
eigenen Worte und den eigenen Rhythmus, die eigene Musik. Aber passen
die überhaupt zusammen? »I´m standing here, not sure
if a hat, a snare, a base, a kick can beat my words, my words, my
words, my words. It splits me up inside.« Der Track lässt
sich rhythmisch zerfallen, der Beat und die Wörter arbeiten kurzzeitig
tatsächlich gegeneinander, marschieren einfach stur in die jeweils
eigene Richtung. Im Refrain wird mit Streichern aus der Dose auch
mal ein wenig auf die Pathostube gedrückt. Und vielleicht ist
es das, worum es bei Cherry Sunkist geht: Die große Geste, ironisch
gebrochen und via Homerecording, das keine Angst davor hat, nach Homerecording
zu klingen, konserviert.
Apropos ironische Ikone: GOODBYE, der Abschiedstrack der CD, ist Marilyn
Monroe gewidmet. Und lese ich zu viel in dieses popkulturelle Zeichenspiel
rein, wenn ich da schon wieder an PJ Harvey denken muss, die ja auch
nicht von ungefähr Polly Jean Harvey heißt und die von
Cherry Sunkist ja auch schon gecovert wurde? Wenn wir schon bei Vorbildern
und Referenzpunkten sind: Kevin Blechdom, Chicks on Speed, Le Tigre
nennen sich da ja fast wie von selbst. Allesamt Bands bzw. Musikerinnen,
die nicht nur mit emanzipatorischem Ansatz Musik machen, sondern die
auch ein Gesamtkonzept in ihre Kunst einbringen. Visuals, ausgefeilte
(und gerne auch mal etwas durchgeknallte) Bühnenoutfits gehören
da selbstverständlich dazu. Auch bei Cherry Sunkist, die als
Karin Fisslthaler Multimediakunst macht. Cherry Sunkist ist übrigens
eine One-Woman-Show, auch live. Das erklärt einerseits, warum
so wenig, so absolut untypisch wenig Bass auf PROJECTION SCREENS zu
finden ist, Cherry Sunkist spielt nunmal Gitarre und sie kann sich
ja schlecht beides umhängen. Sie hat, vor allem live, auch so
schon genug zu tun. Alle nötigen Instrumente werden gleichzeitig
von ihr in Gang gesetzt, Cherry Sunkist ist ihre eigene Backupband
und Frontfrau. Was aber nicht heißt, dass Cherry Sunkist ein
Einzelgängerinnenprojekt ohne Umfeld ist. Im Gegenteil: ohnehin
schon gut vernetzt, hat Cherry Sunkist jetzt auf dem wunderbaren und
engagierten Label comfortzone betrieben von Christina Nemec
eine Heimat gefunden.
www.feedbackanddisaster.net/cherrysunkist/
http://www.comfortzonemusic.com/
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Mieze Medusa ist HipHop-Aktivistin, poetry slammer
und Autorin mit dem Ohr am Takt und dem Kopf im Sandstrand. Aktuell:
Tauwetter CD; Doppelter Textpresso, Buch & CD.
www.miezemedusa.com
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