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Wenn Eltern und Großeltern Nazis waren


Der Film »Liebe Geschichte«, in Linz ab 29. April im Moviemento zu sehen, zeigt den schwierigen ehrlichen Umgang mit beladenen Familiengeschichten. Von Sabine Rohlf.

»Opa war kein Nazi« – unter diesem Titel analysierte die Forschungsgruppe um den Sozialpsychologen Harald Welzer Anfang des Jahrtausends Strategien, die Verstrickung der eigenen Familie in den Nationalsozialismus zu verdrängen. Das Buch zeigt, mit welchen narrativen Tricks aus Tätern oder Mitläufern widerständige Menschen und/oder Opfer werden, kurz, wie im familiären Rahmen Geschichte geschrieben, man könnte auch sagen, umgeschrieben wird. Denn in den allermeisten Fällen läuft das im Familienkreis Erzählte auf eine Entlastung der Täter hinaus.

»Liebe Geschichte« von Simone Bader und Jo Schmeiser geht den umgekehrten Weg. Die als »Klub Zwei« zusammen arbeitenden Filmemacherinnen hätten ihren Film auch »Opa/Oma/Mutter/Vater war ein/e Nazi« nennen können. Denn hier sprechen Töchter und Enkelinnen, die sich der Verbrechen, dem Antisemitismus, der mangelnden Reue ihrer Großeltern und Eltern sehr bewusst sind, die etwas darüber wissen und wissen wollen. Bader und Schmeiser sprachen unter anderem mit der Großnichte Heinrich Himmlers, mit Töchtern und Enkelinnen von SS-Mitgliedern, mit der Tochter einer KZ-Aufseherin. In einem Fall kommen zwei Vertreterinnen einer Familie zu Wort, Patricia und Lenka Reschenbach, Tochter und Enkelin eines Mannes, der im Zweiten Weltkrieg Partisanen erschoss. Alle Frauen erzählen davon, wie in ihren Familien über die NS-Zeit gesprochen wurde. Oft ist dabei vom Leugnen, Ausweichen, Schweigen die Rede.

Der Film zeigt, wie schwierig es ist, sich jenseits bequemer Verdrängungen und Relativierungen zu bewegen. Manchmal fehlen die Worte. Patricia Reschenbach etwa versucht, ihren Vater zu beschreiben, ohne dessen antisemitische Statements zu wiederholen. Sie stockt, denkt nach, sucht nach Formulierungen. Dietlinde Polach spricht sachlich von ihren »Emotionen« angesichts der Einsicht, dass ihre Mutter andere Menschen misshandelte. So nüchtern ihre Wortwahl, so klar macht sie doch, dass ihre Gefühle kaum auszuhalten waren. Helga Hofbauer analysiert die Homophobie und die von NS-Ideologie geprägten Körperbilder (»natürlich«, »normal«, leistungsfähig und heterosexuell) ihres Vaters, kommt aber immer wieder an Punkte, die sie sprachlos machen.

Viele der Interviewpartnerinnen haben sich öffentlich, z.B. mit ihrer wissenschaftlichen Arbeit, positioniert. Katrin Himmler etwa schrieb ein Buch über ihre Familie, Jeanette Toussaint forschte über Gefangene und Aufseherin-nen im KZ Ravensbrück, Maria Pohn-Weidinger über »Trümmerfrauen« in Wien. Ihren Statements ist anzumerken, dass sie in einem kritischen Diskurs über Gedenken und Erinnerung zuhause sind. Sobald sich ihre Arbeit und ihre Familiengeschichten berühren, schildern sie jedoch ganz »unwissenschaftliche« Momente der Irritation und Verwirrung.

Alle Gespräche umkreisen das Problem, dass die Verstrickung der Großeltern und Eltern in den Nationalsozialismus das eigene Selbstverständnis belastet, die eigene Identitätskonstruktion destabilisiert. Selbst wenn eine Person ihre (Groß)Eltern nicht liebt (und wie oft ist das trotz allem der Fall), bleiben die Familie und ihre Geschichten ein Raum oder Narrativ, von dem sie sich nur schwer abspalten kann. Egal, ob es um schwere Verbrechen oder blankes Mitläufertum geht – sobald man die eigene Familiengeschichte und ihre Verstrickungen analysiert, wird es sehr persönlich. Es geht um Gefühle gegenüber nahe stehenden Menschen, es geht um den Umgang mit sich selbst und den eigenen Kindern, um tatsächliche oder befürchtete Gewaltpotentiale, um Wut, Angst, um Vorstellungen von Körper und Sexualität. Sich dazu vor der Kamera zu äußern, erfordert einigen Mut. Keine der Frauen zog sich hinter Worthülsen zurück, alle versuchten, ihre komplizierten, ambivalenten, oft schmerzhaften Eindrücke und Gefühle genau zu beschreiben. Wir hören und sehen ihnen dabei zu, sehen ihre Blicke, ihre Bewegungen, ihre Mimik. Nichts lenkt ab. Der Film gibt ihnen viel Raum.

Während sie sprechen, stehen oder sitzen sie an verschiedenen Orten in Wien, z.B. im Strandbad Gänsehäufel, in der UNO City, vorm Museum Leopold. Ihre Äußerungen werden nicht als zusammenhängende Narration präsentiert, sondern immer wieder unterbrochen, Bilder der Stadt mit leisen Hintergrundgeräuschen, aber ohne Worte schieben sich zwischen die Interviewsequenzen. Das Gesagte kann wirken, wir haben Zeit, darüber nachzudenken. Die sechs Frauen kommen mehrmals zu Wort, längere Interviewpassagen werden rund um einzelne Fragestellungen zusammengestellt. Manchmal dauert es eine ganze Weile, bis sich die Geschichte der Frauen bzw. ihrer Familien erschließt, bis die ZuschauerInnen z.B. wissen, mit welcher Form der Täterschaft die Frauen es zu tun haben, was sie selbst tun, forschen, denken. Das fordert zum Nach- und Mitdenken heraus, am Ende des Films ergibt sich für jede Frau ein fragiles, offenes, aber gleichzeitig prägnantes Bild.

Zwischen den Interviewsequenzen widmet sich der Film der öffentlichen Auseinandersetzung mit dem Thema der NS-Zeit in Österreich. Er rollt die Jahrzehnte von der Gründung der zweiten Republik bis in die Gegenwart auf, markiert wichtige Etappen wie den Eichmann-Prozess und die Waldheim-Affäre bis zur Schüssel/Haider-Regierung. Außerdem umreißt er die wissenschaftliche Aufarbeitung, insbesondere, was Frauen betrifft. Immerhin setze sich erst in den 80er-Jahren die Einsicht durch, dass auch sie sich – in einem männerdominierten Regime – schuldig machten, Verbrechen begangen, keineswegs »unpolitisch« oder Opfer qua Geschlecht waren. Dieser Aspekt der Überlieferung wird auch in den Interviews thematisiert, etwa wenn die Frauen über ihre Forschung berichten oder aber über ihre Mütter und Großmütter.

Während eine weibliche und eine männliche Stimme aus dem Off abwechselnd über die österreichische Geschichte und Politik informieren, sehen wir Gebäude, Innenräume und Plätze Wiens, die im Zusammenhang mit der jeweils beschriebenen Dekade stehen. Sie passen zur vorherrschenden Kultur der jeweiligen Zeit, wurden damals gebaut – Spuren der Vergangenheit im Stadtraum, in dem sich Menschen der Gegenwart bewegen. Oft sind alte und neue Gebäude zusammen im Bild, sie stehen nebeneinander, spiegeln sich ineinander, werden durch Fenster sichtbar.

Alle Interviewten verhalten sich kritisch gegenüber einer Kultur der Verdrängung, alle wollen eine Auseinandersetzung. Das ist ungewöhnlich und für manche Zuschauer vielleicht auch irritierend, wenn z.B. eine von ihnen sagt, die Gegenwart sei nach wie vor stark von der NS-Zeit geprägt. Denn inzwischen heißt es ja oft, die Historisierung des NS habe begonnen: Die erste Generation ist weitgehend gestorben, die zweite schon alt, die dritte entwickelt mit größerem zeitlichen und persönlichen Abstand eine andere Perspektive. Doch indem der Film zum einen relativ junge Frauen der zweiten Generation zeigt – sie hatten entsprechend alte Eltern bzw. Väter – und anderseits die familiäre Kommunikation über mehrere Generationen auslotet, macht er klar, wie nachhaltig die Vergangenheit wirkt.

»Liebe Geschichte« folgt einem ähnlichem Ansatz und hat eine ähnliche Bildsprache wie »Things Places Years«, einem Film Jo Schmeisers und Simone Baders aus dem Jahr 2004. In diesem Film geht es um die Erfahrungen Jüdischer Frauen, die Deutschland und Österreich nach 1945 verließen und größtenteils in London leben. Frauen, die auf unterschiedliche Art und Weise mit den Themen Judentum, Verfolgung, Flucht und Holocaust verbunden sind, sprechen über Vergangenheit und Gegenwart und zeigen, wie wenig das eine vom anderen zu trennen ist. Auch hier finden die Filmemacherinnen Wege, komplexe Prozesse der Überlieferung, der Erzählung, der Erinnerung ins Bild zu setzen. Auch hier sind es Frauen, ihre Stimmen und Gesichter, Landschaften und Orte, die den Raum für eine Auseinandersetzung aufspannen. Während es hier um die Seite der Verfolgten geht, wendet sich »Liebe Geschichte« ganz klar der Täter(innen)seite zu. Wobei, das ist ein weiterer Unterschied, die erste Generation nicht zu Wort kommt. Sondern allein die Nachkommen, die versuchen, mit dem Bruch, der ein ganz anderer ist als bei den Verfolgten, umzugehen.

»Liebe Geschichte« liefert keine griffigen Antworten, sondern fordert zum Nachdenken heraus: über die eigenen Familien, Positionierungen, Verunsicherungen, Gefühle. Was bedeutet es, von Menschen erzogen und geprägt worden zu sein, deren Handeln und Denken eine/n abstößt, ja entsetzt? Was bedeutet es, diese Menschen zu lieben, ihnen nahe zu sein? Welchen Umgang gibt es mit einer Familiengeschichte, die keine ethische Stabilität, keine Gewissheit, zu den »Guten« zu gehören, transportiert? Nimmt man diese Fragen ernst, so geht es schnell ans Eingemachte, aber es wird auch herausfordernd. Denn Verdrängung transportiert die Fragwürdigkeit ja nur weiter. »Liebe Geschichte« zeigt, wie es auch anders gehen könnte.

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Sabine Rohlf promovierte über Exilromane von Frauen, unterrichtete an Universitäten in Berlin und Hamburg, v.a. im Bereich Gender Studies. Parallel dazu arbeitete sie in verschiedenen Redaktionen, derzeit arbeitet sie als freie Autorin in Berlin.