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Zero Tolerance im Landtag
Repression
ist die sozialpolitische Strategie der vorherrschenden Parteien. Von
Franz Fend.
Nachdem erst im Jahre 1975 im Rahmen der Strafrechtsreform bundesweit
die Paragraphen für Bettelei und Landstreicherei abgeschafft
worden sind, lassen die Bundesländer in jüngster Zeit nichts
unversucht, ebendiese Straftatbestände durch die Hintertür
der Polizeistrafgesetze wieder einzuführen. Bemerkenswert an
den Bettelei- und Landstrei-chereiparagraphen, die übrigens aus
dem Jahre 1885 stammten, war, dass durch sie Erwerbslosigkeit in Kombination
mit Wohnungslosigkeit bestraft wurden. In Tirol und Salzburg wurden,
kurz nachdem die entsprechenden Gesetze auf Bundesebene geändert
wurden, eigene, den alten Maßgaben entsprechende Landesgesetze
eingeführt. Erst in den Achtziger-Jahren wurden diese Gesetzte
vom Verfassungsgerichtshof wegen Verfassungswidrigkeit aufgehoben.
Die Phase des politischen Liberalismus währte allerdings nur
kurz. Die Gesetze, die nun in der Steiermark und kürzlich auch
in Oberösterreich beschlossen worden sind, knüpfen vollinhaltlich
an die Gesetze aus der Habsburgerei an. Zwar wird Betteln nicht mehr
mit Zuchthaus oder Einweisung in Arbeitshäuser bestraft, aber
das Wesen der Gesetze bleibt das Gleiche: Die Armen werden kriminalisiert,
damit das System, das arm macht, geschützt werden kann.
Erbärmliche Argumente
Die Argumente, die etwa in Oberösterreich angeführt werden,
könnten erbärmlicher und verlogener nicht sein. Sie würden
ja nur die international ausgebeuteten BettlerInnen schützen
wollen, die in die Hände einer Mafia geraten seien und zum Betteln
gezwungen werden, ist wohl das miserabelste Argument, das je gegen
BettlerInnen vorgebracht worden ist. Ihnen ginge es ja nur um die
gewerbsmäßige und organisierte Bettlerei so ihr Sermon.
Abgesehen davon, dass Bettlerei immer gewerbsmäßig ist,
weil es für die betroffenen Menschen die einzige Möglichkeit
darstellt, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, zeigt sich hier die
Niedertracht ihres Ansinnens besonders scharf. Mit dem Gerede von
der Bettlermafia werde jene, die um ihr nacktes Überleben raufen,
gleichgesetzt mit Schwerverbrechern. Es dient nur dazu, Angst zu schüren,
um den geplanten Bettelverboten die nötige Akzeptanz zu verleihen.
Es kriminalisiert die Armut und die Armen, es will glauben machen,
arm sein sei organisierte Kriminalität. Weder seriöse Untersuchungen
noch die Polizei konnten bis dato Hinweise erbringen, dass BettlerInnen
aus dem Osten Europas von Hintermännern gezwungen würden,
betteln zu gehen. Wiewohl auch für BettlerInnen ein gewisses
Maß an Organisation gewiss hilfreich sein kann. Ohne Organisierung,
davon zeugen gewerkschaftliche Auseinandersetzungen oder politische
Kämpfe, kann man nicht
erfolgreich sein.
Es ist eine Sprache des Hasses, die hier in die politische Debatte
Einzug gefunden hat. Zum einen werden BettlerInnen zu Kriminellen
umgedeutet, zum anderen wird der Begriff Organisierung in ein schiefes
Licht gerückt. Organisierung, egal in welchem Zusammenhang, wird
generell als etwas Anrüchiges, Verachtenswertes dargestellt.
Das passt in den neoliberalen Zeitgeist des Individualismus und der
Konkurrenz aller gegen alle, der Organisierung oder solidarische Bewältigung
von Aufgaben als anachronistisch und leistungsfeindlich darstellt.
Die Menschen könnten ja auf dumme Gedanken kommen.
Organisieren hilft
Indes gibt es zahlreiche Beispiele der Organisierung von BettlerInnen,
die höchst erfolgreich waren. Man muss nicht die Dreigroschenoper
von Brecht strapazieren, in welcher der Bettlerkönig Jonathan
Jeremiah Peachum einen gut gehenden Laden betreibt, in dem er die
Elendsten der Elenden mit dem Aussehen ausstattet, das der zunehmenden
Verhärtung der Menschen begegnet und ihre Herzen öffnet.
So manche Kritiker des Bettelns, wie etwa ein Kommentator von den
Oberösterreichischen Nachrichten, welcher meint, den BettlerInnen
sei am meisten geholfen, wenn man ihnen nichts gebe, dürfte nicht
die Wirklichkeit sondern eher das Theaterstück vor Augen gehabt
haben.
Die Verhärtung der Menschen, die Brecht ansprach, repräsentiert
der Kommentator auf exemplarische Weise.
In Indien hingegen war Betteln bis vor wenigen Jahren ein anerkannter
Beruf. Als in den Neunziger-Jahren des letzten Jahrhunderts die Polizeiübergriffe
gegen BettlerInnen und StraßenhändlerInnen immer massiver
wurden, organisierten sich diese in einer Art Gewerkschaft, die binnen
weniger Jahre mehrere Millionen Mitglieder hatte. Ihre Hauptforderung
war: Die Polizeiübergriffe müssen aufhören. Die Gewerkschaft
war durchaus erfolgreich. Der ÖGB, dem Prekarität und Organisierung
der Prekären immer noch Fremdwörter sind, könnte sich
von den organisierten BettlerInnen und StraßenhändlerInnen
in Indien durchaus was abschauen.
Hierorts haben sich zwar nicht die BettlerInnen organisiert, jedoch
gegen die Bettelverbotsgesetze haben sich in unterschiedlichen Städten
so genannte Bettellobbys in Stellung gebracht. Mit einem spektakulären
Massenbetteln in der Landstraße hat die Linzer Bettellobby etwa
gegen die drohende Beschlussfassung des Bettelverbotes im oberösterreichischen
Landtag mobilisiert. Die Beschlussfassung wurde zwar nicht verhindert,
doch eine öffentliche Debatte des Themas wurde gewiss lanciert.
Die Positionen, die von der Bettellobby in die Diskussion eingebracht
wurden, sind in der Tat erörternswert. Etwas naiv mutet die Formulierung
an, wonach die Politik bei der Bekämpfung der Armut nachlässig
sei. Sie unterstellt, dass die vorherrschende Politik guten Willens
wäre, Armut zu bekämpfen, aus irgendwelchen Gründen
aber nicht erfolgreich sei. Zu fragen wäre vielmehr, ob es nicht
genau umgekehrt ist, dass die staatliche Repression deswegen so forciert
wird, weil eben keine Sozialpolitik, die den Namen auch verdient,
mehr gemacht werden soll. Repression, so könnte man einwerfen,
sei der Ersatz für Sozialpolitik.
Repressiver Sozialstaat
Es ist überdies nicht zu übersehen, dass die Wende hin zum
»aktivierenden« und das heißt nötigenfalls
repressiven Sozialstaat nicht denkbar wäre ohne eine bestimmte
gesellschaftliche Grundhaltung, die auch die Sozialpolitik der 1950er
und 1960er Jahre prägte. Natürlich besteht ein Unterschied
zwischen der Zwangseinweisung in »Arbeitshäuser«,
welche die Behörden in den 1960er Jahren gegen so genannte LandstreicherInnen
und BettlerInnen praktizierten, die »zumutbare Arbeit«
ablehnten oder sich weigerten sesshaft zu werden, und den heutigen
Leistungskürzungen für Arbeitslose, die »zumutbare
Arbeit« ablehnen. Doch eine Verwandtschaft ist unverkennbar.
Es geht um den absoluten Verwertungszwang, den die neoliberale Ausformung
des Gesellschaftssystems durchgesetzt hat. Dadurch nimmt die Gesellschaft
heute gegenüber ihren Bedürftigen eine Anspruchshaltung
ein. Mit dieser Grundhaltung nimmt auch die Bereitschaft der Mehrheit
ab, sichtbare Armut im öffentlichen Raum zu akzeptieren, und
darauf baut die Politik auch hierorts.
Das Bettelverbot, das im Oberösterreichische Landtag nun beschlossen
wurde, hat neben der sozialpolitischen Dimension einen weiteren Hintergrund,
der im virulenten Sicherheitsdiskurs verortet ist. Es ist die Strategie
der »sauberen Städte«, die auch hierzulande Einzug
gehalten hat. »Saubere Städte« ist in Zeiten des
Neoliberalismus eine Metapher für die Unterwerfung sämtlicher
städtischer Belange unter die Maßgaben der kapitalistischen
Verwertung, des Konsums und des Spektakels. Alles, was sich dieser
Verwertbarkeit und der Unterwerfung entzieht, so der entsprechende
Schluss, muss aus den Städten entfernt werden. Dass die BettlerInnen
nun ins Visier der Politik geraten sind, hat seine Gründe. Sie
erzeugen schlechtes Gewissen, was dem Konsum abträglich sein
könnte und sie zeigen eine soziale Lage, von der, und das ahnen
die willigen KonsumentInnen durchaus, die Mehrheit der Menschen betroffen
sein könnte. Mit der Erfindung der Bettlermafia ist der vorherrschenden
Politik und den tonangebenden Medien ein genialer Schachzug geglückt.
Sie lenkt ab, von den sozialen Widersprüchen in der Gesellschaft,
BettlerInnen sind höchst sündenbocktauglich, was der demonstrativen
Härte, die nun auch hierorts wieder Einzug halten soll, zusätzliche
Legitimation verleiht. Dass diese Härte in Linz etwa von der
neuen Stadtwache ausgeübt werden soll, scheint durchaus logisch.
Sozial Deklassierte werden, aus Angst vor weiterem sozialen Abstieg,
diese Aufgabe willig und mit besonderem Eifer ausführen.
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