|
Arabischer Aufbruch, israelische Sorgen
So berechtigt
die Freude über die Entwicklungen in Tunesien und so verständlich
die Hoffnungen in Bezug auf Ägypten sind Israel kann und
wird seine Bedenken hinsichtlich einer Entwicklung, die eine Neuformulierung
der israelischen Sicherheitsdoktrin erzwingt und mit unabwägbaren
Gefahren für den jüdischen Staat verbunden sein kann, nicht
zurückhalten, nur um der Begeisterung für den arabischen
Frühling nicht im Weg zu stehen. Von Stephan Grigat.
Kommentatoren wie beispielsweise Karim El-Gawhary erklären den
Israelis, sie sollten sich nicht soviel Sorgen machen und auch einmal
das Positive sehen. Gute Gründe können sie dafür in
der Regel aber nicht nennen, und so erteilen sie ganz so wie die Vertreter
der EU dem jüdischen Staat stattdessen Ratschläge, wie er
ausgerechnet in der jetzigen Situation durch ein Nachgeben gegenüber
den palästinensischen Begehrlichkeiten den berechtigten Zorn
der arabischen Massen besänftigen könne dann würde
schon alles gut werden.
Das sehen die israelische Regierung und große Teile der Opposition
zu Recht anders: Unter den Ersten, welche die neue regionale Instabilität
für sich zu nutzen wussten, war erwartungsgemäß das
iranische Regime. Im Februar schickte der Iran zum ersten Mal seit
32 Jahren zwei Kriegsschiffe durch den Suezkanal; Ägypten hat
ihre Passage ins Mittelmeer genehmigt ebenfalls zum ersten
Mal seit 32 Jahren. Erstmals seit 30 Jahren ist der jüdische
Staat gezwungen, nachrichtendienstliche Kapazitäten, die bisher
zur Informationsbeschaffung über den Iran, Syrien und die Hisbollah
zum Einsatz kamen, auf Ägypten auszurichten. Hamas-Anhänger
und
Funktionäre haben den Sturz Mubaraks frenetisch gefeiert.
Völlig zu Recht, denn sie können sich von so gut wie jeder
zukünftigen Regierungskonstel-lation im Nachbarland eine Lockerung,
wenn nicht gar Aufhebung der Blockade an der Grenze des Gaza-Streifens
zu Ägypten erwarten, was für Israel ein Ende der relativen
Ruhe an der Südgrenze bedeuten würde, da sich die Hamas
durch unkontrollierte iranische Waffenlieferungen zu einer ähnlichen
Bedrohung wie die Hisbollah im Norden entwickeln könnte. Yusuf
al-Qaradawi, einer der prominentesten und übelsten Hetzer im
sunnitischen Islam, kehrte nach Jahrzehnten der Verbannung vor wenigen
Wochen nach Ägypten zurück. In seiner ersten großen
öffentlichen Predigt, die offenbar mit Billigung der neuen Militärregierung
auf dem Tahrir-Platz stattfand, schwärmte er vor Tausenden davon,
bald auch im »befreiten« Jerusalem Allah preisen zu können.
Das sind völlig andere Bilder als jene aus Tunesien, wo sich
auf einer Islamisten-Kundgebung vor der Synagoge in Tunis nur wenige
Hundert zum antisemitischen Mob zusammenrotteten, während sich
auf der Gegendemo ein paar Tage später über 15.000 einfanden.
Und jenes Al-Dschasira-Interview, in dem sich Rachid al-Ghannouchi,
der Chef der islamistischen Partei Nahda, bitter enttäuscht
zeigte, dass partout niemand mit ihm reden, geschweige denn ihn in
irgendein politisches Bündnis aufnehmen möchte, gehörte
mit zu den schönsten Fernsehmomenten der letzen Monate. In Kairo
jedoch wurden Vertreter der Muslimbruderschaft bereits vom neu ernannten
Vizepräsidenten zu Gesprächen über die Zukunft des
Landes em-pfangen, als sie sich offiziell noch nicht einmal als Partei
betätigen durften.
Wer sich von seiner Begeisterung dazu verleiten lässt, den arabischen
Aufbruch blindlings abzufeiern, verschließt die Augen davor,
dass Volksaufstände schon viel zu oft das Schlechte durch etwas
Schlimmeres ersetzt haben. Die keineswegs dominierenden, aber immer
wieder auftauchenden Bilder, auf denen die Demonstranten Mubarak mit
aufgemalten Davidsternen als Judenknecht gebrandmarkt
haben, rufen in Erinnerung, worin dieser Aufstand enden könnte.
Es ist kein Zufall, dass iranische Oppositionelle, von den Rätekommunisten
bis zu den Liberalen, ihre Grußadressen an die tunesischen und
insbesondere die ägyptischen Revolutionäre stets mit eindringlichen
Warnungen spicken, nicht die Fehler aus der iranischen Revolution
von 1979 zu wiederholen und die Islamisten zu unterschätzen.
Ihre Sorgen werden durch die offen zur Schau gestellte Begeisterung
des Regimes in Teheran über die Kairoer Demonstrationen gespeist.
Die ist nicht verwunderlich, sahen die Ajatollahs die prowestliche
ägyptische Diktatur doch seit dem Friedensschluss mit Israel
als einen ihrer Erzfeinde an.
Israel hat bezüglich Ägypten gute Gründe, nicht nur
den Machtzuwachs der Muslimbruderschaft zu fürchten. In der Armeeführung
gibt es Kräfte, die zwecks Machtsicherung auf eine Kooperation
mit den Islamisten setzen, mit denen auch Mohammed el-Baradei, der
ehemalige IAEO-Direktor und ein möglicher Präsidentschaftskandidat,
zusammenarbeitet. Das ägyptische Oppositionsbündnis Kifaya,
das in der Vorbereitung des Sturzes Mubaraks eine maßgebliche
Rolle gespielt hat und in dem sich Linke, Nationalliberale und jene
Islamisten zusammengeschlossen haben, die mit der Muslimbrüderschaft
gebrochen haben oder schon immer in Konkurrenz zu ihr standen, wurde
überhaupt erst ins Leben gerufen, um die »Al Aksa-Intifada«
der Palästinenser zu unterstützen, in der über 1000
Israelis ermordet und mehr als 7000 verletzt wurden. Bald nach ihrer
Gründung initiierte Kifaya eine viel beachtete Petition zur Aufkündigung
des Friedensvertrags mit Israel. Kein Wunder, dass die Antiimperialistische
Koordination in Österreich, welche die Kooperation von Linken
und Islamisten schon seit Jahren nicht nur propagiert, sondern auch
praktiziert, 2005 einen Vertreter von Kifaya nach Wien eingeladen
hat.
Von Tariq al Bishri, jenem Juristen, der zum Vorsitzenden des Ausschusses
für die Überarbeitung der Verfassung ernannt wurde, hört
man, dass er dem iranischen Regime schon deswegen Bewunderung entgegenbringt,
weil es ein leuchtendes Beispiel im Kampf gegen Israel sei. Ayman
Nour, der Vorsitzende der liberalen Ghad-Partei und im Westen
seit Jahren als wichtiger Gegenspieler Mubaraks gehandelt, stellt
den Friedensvertrag mit Israel zumindest in Frage. Die vergleichsweise
unbedeutenden, in der anachronistischen Tradition des Nasserismus
stehenden Bündnisse sind ohnehin eindeutig antiisraelisch ausgerichtet.
Aber auch die neu entstandene »Jugendbewegung des 6. April«
fordert die Einstellung der Erdgaslieferungen an Israel, womit sie
sich gegen die Politik der jetzigen Militärregierung stellt.
Nichtsdestotrotz wird die Gruppe von deutschen und österreichischen
Beobachtern als großer Hoffnungsträger präsentiert,
ohne dass ihre antiisraelische Stoßrichtung überhaupt erwähnt
wird.
Die Ziele der ägyptischen Muslimbrüder, deren ideologische
Vordenker wie Sayyid Qutb Schriften mit so eindeutigen Titeln wie
»Unser Kampf mit den Juden« verfasst haben, sind trotz
des sunnitisch-schiitischen Gegensatzes jenen des iranischen Regimes
durchaus ähnlich. Der heutige Oberste Geistliche Führer
im Iran, Ali Khamenei, gehörte in den 1960er Jahren zu den Übersetzern
der Schriften von Qutb. Bei den ägyptischen Muslimbrüdern,
die auf Zeit setzen, existieren zweifellos unterschiedliche Flügel,
von denen sich einer an der türkischen AKP orientiert. Schaut
man sich deren immer hemmungslosere antiisraelische Politik und die
Annäherung an das Regime in Teheran an, ist allerdings fraglich,
warum das als Anlass zur Entwarnung gesehen wird. Sollte Ägypten
den Weg der Türkei gehen, würde das eine fundamentale Kräfteverschiebung
in jener Konfrontation bedeuten, die seit Jahren im Nahen Osten zwischen
einer pro- und einer antiiranischen Achse stattfindet was zwangsläufig
zu Ungunsten Israels ausgehen würde, für das die Bedrohung
durch das iranische Nuklearwaffen- und Raketenprogramm weiterhin Priorität
hat.
Die Machthaber in Teheran setzen derweil völlig unbehelligt auf
brutale Repression gegen die Freiheitsbewegung und werden dafür
mit Besuchen europäischer Außenminister wie zuletzt Guido
Westerwelle belohnt. Aber auch in Österreich zeigt man sich weiterhin
unbeeindruckt vom Terror des iranischen Regimes und seinem unbeirrten
Festhalten an der nuklearen und konventionellen Aufrüstung: Trotz
aller Sanktionen sind die österreichischen Exporte in den Iran
im letzten Jahr abermals gewachsen, die Importzahlen sind mit einer
Steigerung von 400% geradezu explodiert. In Deutschland, dem wichtigsten
Handelspartner des Regimes im Westen, schaut die Situation nicht viel
anders aus. Genau diese Politik hält das iranische Regime mit
am Leben. Dabei wäre sein Sturz eine gute, wenn auch sicher nicht
hinreichende Versicherung, dass der arabische Frühling nicht
zu einer Intifada gegen Israel verkommt, die den Massen weder Freiheit
noch Brot zu bieten hätte was aber bekanntlich überhaupt
kein Grund ist, sie nicht vom Zaun zu brechen.
Die Frage lautet, ob jener für den Nahen Osten so typische Mechanismus
durchbrochen werden kann, bei dem die innergesellschaftlichen und
durch den Weltmarkt evozierten Widersprüche, die allein durch
den Sturz eines Regimes nicht verschwinden, stets in Aggression gegen
den jüdischen Staat transformiert werden. Diese Verschiebungsleistung
erfolgt keineswegs automatisch, und selbstverständlich wäre
es für Israel wünschenswert, wenn mit einem neuen Ägypten
endlich ein Frieden nicht nur mit der Führung, sondern mit der
Bevölkerung geschlossen werden könnte und dadurch auch all
jene zivilgesellschaftlichen Projekte möglich würden, die
schon im Abkommen von Camp David vorgesehen waren, aber unter dem
Regime Mubaraks nie eine Chance hatten. Israel aber hat nichts davon,
sich etwas zu wünschen. Es muss sich, wie immer, auf das Schlimmste
vorbereiten. Wenn die Entwicklungen dann doch einem Beobachter wie
dem ehemaligen Likud-Minister Natan Sharansky Recht geben, der im
arabischen Aufbruch eine Bestätigung der Thesen seines Buches
»The Case for Democracy« und eine große Chance für
Israel sieht umso besser.
--------------------------------------------------------------------------------------------------
Stephan Grigat ist Lehrbeauftragter für Politikwissenschaft
an der Uni Wien, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Bündnisses
www.stopthebomb.net,
Herausgeber von Feindaufklärung und Reeducation. Kritische Theorie
gegen Postnazismus und Islamismus (ça ira 2006) und Mitherausgeber
von Iran im Weltsystem. Bündnisse des Regimes und Perspektiven
der Freiheitsbewegung (Studienverlag 2010).
|