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re:publica'09 »Shift happens«
Eine Bloggerkonferenz wird erwachsen, befindet Anna
Masoner.
»Ein Computer
kommt uns wertlos vor, sobald er vom weltweiten Datennetz getrennt
ist. Denn ein Computer ohne Internetzugang fühlt sich an wie
eine Wasserpistole: Sieht witzig aus, macht aber keinen Spaß.«
Das steht im Programmheft der re:publica, Deutschlands größter
Blogger- und Web 2.0-Konferenz, die vom 1. bis 3. April in Berlin
zum dritten Mal über die Bühne ging.
Keine Frage, das Internet hat in den letzten 15 Jahren unserer Leben
verändert: Wie wir arbeiten, einkaufen, kommunizieren, wie wir
uns Informationen beschaffen und wie wir uns selbstdarstellen.
Die dritte Ausgabe der re:publica machte mit dem Motto »Shift
happens«, also Veränderung findet statt, diesen Wandel
zum Thema. An drei Tagen diskutierten Blogger, digitale Aktivisten
und andere Netzbewohner den Medienwandel: Durch soziale Medien, also
Weblogs, soziale Netzwerke oder den Microbloggingdienst Twitter kann
jeder im Netz zum Sender werden. Und schon längst sind soziale
Medien im Mainstream der Gesellschaft angekommen, sagt Markus Beckedahl.
Er ist Aktivist und Betreiber von netzpolitik.org, eines der einflussreichsten
Politikblogs Deutschlands. Seit 2007 organisiert er gemeinsam mit
Tanja und Jonny Häusler von spreeblick.de die re:publica.
Medienwandel
Traditionell ist das Programm der re:publica so breit gefächert
wie das Internet selbst. Von Fragen der Privatsphäre in sozialen
Netzen, des Urheberrechts, über Blogs in Afrika und im Nahen
Osten, bis hin zu Krankenhauskommunikation 2.0 reicht die Palette.
Doch eigentlich ging es dieses Jahr um den Medienwandel, eben »Shift
happens«.
Für Markus Beckedahl bedeuten Globalisierung und Medienwandel
zweierlei: Auf der einen Seite sind Blogs und soziale Netzwerke wie
Facebook keine Nische mehr, sondern im Mainstream angekommen. Schätzungsweise
200 Millionen Blogs gibt es weltweit. Facebook hat vor kurzem den
200-millionsten Nutzer registriert. Internet wird zunehmend mobil
vom Mobiltelefon genutzt. Und auch der Microbloggingdienst Twitter
hat mit weltweit 6 Millionen Nutzern den Durchbruch geschafft. Vor
einem Jahr war Twitter noch neu und das nächste große Ding.
Heute twittern viele Blogger nur noch. Das heißt sie stellen
Kurznachrichten ins Netz, die kürzer sind als eine SMS und von
sogenannten »followern« abonniert werden können.
Die Notwasserung am Hudson River wurde auf Twitter dokumentiert bevor
die Meldung in den Nachrichten kam, genauso wie der Amoklauf in Winnenden.
Blogs versus Qualitätsjournalismus
Die Medienwelt wird durch das Internet kräftig durcheinandergewirbelt.
Wenn die alte Medienwelt den Bach runtergeht, Journalisten entlassen
und Zeitungen eingestellt werden, können da Blogs diese Lücke
füllen? Nie und nimmer ist Markus Beckedahl überzeugt. Er
glaubt, guter Journalismus wird auch in Zukunft noch gebraucht. »In
dieser ganzen Informationsvielfalt, wenn immer mehr Leute senden,
braucht es immer noch Menschen, die das ganze einordnen und auf Glaubwürdigkeit
überprüfen. Diese vermeintliche Konkurrenz Qualitätsmedien
versus Blogger wird künstlich von Menschen in die Diskussion
eingebracht, die selbst nicht wirklich im Internet aktiv sind. Aus
Angst ihre klassische Gatekeeperposition zu verlieren, verbreiten
sie kulturpessimistische Untergangsstimmungen.« Für Beckedahl
gehen alte und neue Medien eine Symbiose ein. »Journalisten
erfahren Meinungen und Trends aus Blogs, Blogger wiederum verlinken
auf die Inhalte von klassischen Medien. Es wird Zeit das Ganze mal
viel entspannter zu sehen.«
Gespaltene Blogosphäre im Nahen Osten
Können Araber, Israelis und Kurden, Muslime, Juden und Christen
im Nahen Osten respektvoll miteinander streiten? Diese Frage beschäftigt
die 22 jährige Esraa al Shafei seit einigen Jahren. Sie
stammt aus dem Königreich Bahrain, einem winzigen Inselstaat
im persischen Golf.
Vor drei Jahren, als es in der Blogosphäre im Nahen Osten und
in Nordafrika zu brodeln begann, gründete sie die Plattform mideastyouth.com.
Mit dem Ziel für Meinungsfreiheit zu kämpfen und Menschen
im Internet miteinander ins Gespräch zu bringen, die ansonsten
nur gegenseitige Hasstiraden abfeuern.
»Die Blogosphäre im Nahen Osten war sehr streng von einander
getrennt. Auf der einen Seite gab es israelische Blogger, auf der
anderen Seite arabische. Sie sprachen aus verschiedenen Gründen
nicht miteinander: weil sie die Sprache nicht beherrschen oder unterschiedlicher
Meinung sind. Mideastyouth sollte zu einem Ort werden, wo Kurden,
Israelis, Araber, Iraner und Menschen, die religiösen oder ethnischen
Minderheiten angehören, zusammenkommen. Mideastyouth wurde aber
auch zu einem Ort, an dem man über Themen sprechen kann, die
in unseren Gesellschaften tabuisiert sind: wie etwa Atheismus, Homosexualität
oder sexuelle Gewalt.«
Free Kareem Kampagne
International für Aufmerksamkeit hat Esraa Al Shafei gesorgt,
als sie für einen Freund, den ägyptischen Blogger Kareem
Amer, die Kampagne »Free Kareem« auf Mideastyouth startete.
Kareem war verhaftet worden, weil er einen Islam-kritischen Blogeintrag
veröffentlicht hatte. »Obwohl Kareem noch immer im Gefängnis
sitzt und wir es bisher nicht geschafft haben ihn zu befreien, waren
wir dennoch erfolgreich, weil wir die ägyptische Regierung dazu
gezwungen haben uns zu begründen, warum sie Kareem eingesperrt
haben. Wir haben Ägypten in eine ziemliche Zwangslage gebracht,
da die internationale Öffentlichkeit auf den Fall aufmerksam
wurde. Die Free Kareem Kampagne gilt jetzt als Modell, wie man erfolgreich
eine politische Kampagne durchziehen kann.«
Preisgekröntes Netzwerk
Für ihr Engagement im Netz und ihren Einfluss auf die Gesellschaft
wurde die junge Aktivistin bereits mit einem Preis des renommierten
Berkman Centers of Internet and Society an der Harvard Law School
ausgezeichnet. In den drei Jahren seiner Existenz ist mideastyouth
zu einem sehr wichtigen und einflussreichen Netzwerk herangewachsen:
200 Autorinnen und Autoren aus 24 Ländern und 8 Religionen schreiben
regelmäßig auf der Website. Ganz abgesehen von den tausend
Menschen, die hin und wieder publizieren, sagt Esraa Al Shafei,
von der es übrigens im Netz kein einziges Foto gibt. Nur ein
Comicbild findet man auf der re:publica Hompage.
Es zeigt das verschmitzte Gesicht einer zierlichen Frau mit langen
Haaren und großer Brille. Sie fühle sich sicherer, wenn
es keine Fotos von ihr gäbe. In der Vergangenheit habe sie etliche
anonyme Anrufe und Morddrohungen erhalten. Gerade in einem so kleinen
Land wie Bahrain kann es für eine Aktivistin wie sie gefährlich
sein, wenn sie auf der Straße erkannt wird.
Link: http://www.re-publica.de/09/
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