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Wäscheleinen im globalen Dorf
Eugenie Kain über Kontinuitäten und
Brüche des Lebens in Linz.
»Lebt wieder in Linz«. Was heißt das? Hat schon
einmal in Linz gelebt, muss dann woanders gelebt haben, lebt wieder
in Linz. Warum? Ist dieses »wieder« jetzt endgültig?
Nein.
Lebt derzeit in Linz Diese Zeitangabe im Lebenslauf war wichtig.
Ich legte Wert darauf, mit dieser Formulierung ein Schlupfloch in
Metropolen und Megacities schwarz auf weiß in der Biographie
mitzuführen. Jahrelang. Bis es mir eines Tages lächerlich
erschien. Ein »derzeit« lässt sich nicht endlos dehnen,
es verliert, wenn es jahrelang an den selben Ort geknüpft ist,
an Elastizität und damit an Durchlässigkeit.
Nur »lebt« ist aber keine Kategorie für eine Biographie.
Also gebe ich jetzt an »lebt in Linz«, in vollem Bewusstsein,
dass diese Angabe missverständlich ist.
Linz ist nicht die Welt und die Welt ist nicht in Linz. Darüber
hinaus wird im globalen Dorf die Welt zur Stadt. Deshalb gibt es nur
mehr einen Ort für die Welt: Die Welt ist in mir. Es spielt keine
Rolle, ob ich in einer Stadt lebe, in der ich mit der Straßenbahn
in einer guten Stunde das andere Ende der Stadt erreiche oder in einer
Stadt, in der zwei U-Bahnstationen so weit auseinander liegen wie
die Haltestelle St. Magdalena in Urfahr und die Haltestelle Lohnsdorferplatz
im Franckviertel.
Lebt in Linz. Als Kind erlebte ich die Sprengung der Wollzeugfabrik
beim Kastanienklauben. Zwei, drei, vier dumpfe Donnerschläge
und die Kastanien im verwaisten Gastgarten des Hotel Achleitner in
Urfahr prasselten von den Bäumen und in Linz an der Gruberstraße
geriet das barocke Gemäuer der Wollzeugfabrik, der ersten Manufaktur
der K. u. K.-Monarchie ins Wanken. Dieser Herbst war auch der letzte
für das Hotel Achleitner und seinen stillen Gastgarten. Das Gasthaus
»Zur Stadt Budweis« war bereits verschwunden und neu entstanden
ist ein scheußlicher Nicht-Ort mit einer noch scheußlicheren
Unterführung, einer der hässlichsten Orte von Linz, der
sich im Übrigen auch als Hillinger-City dokumentieren ließe.
Als Kind erlebte ich auch die Vertreibung aus dem Paradies. Von einer
schönen Wohnung in einer Villa am Rande der Heilhamer Au mussten
wir in ein schnell hingestelltes Hochhaus übersiedeln, denn die
Villa wurde abgerissen und die Au abgeholzt, und der Heilhamerweg
und die Resselstraße mit allen Häusern, Gärten, Wiesen,
Bienen und Regenwürmern weggewalzt, weil die Voest-Brücke
Raum brauchte. Was neue Straßen bedeuteten, erfuhr ich auch
andernorts. Meine Kindersommer verbrachte ich in Bad Goisern bei den
Großeltern. Sie wohnten hoch oben am Hang, im letzten Haus des
Ortsteiles Posern. Hinter dem Haus war der Wald, dunkel und rauschend
bis zum Felsenband der Ewigen Wand und weit darüber hinaus. Mit
der Großmutter auf der Hausbank im Schatten eines Fliederstrauchs
sitzend erfuhren wir die Schreckensnachrichten aus dem Tal. In den
ersten Jahren nach der Eröffnung der Umfahrung Bad Goisern starben
in Posern ein Großteil der Alten keines natürlichen Todes.
Jahrelang waren sie, im Sommer mit dem Stock, im Winter mit dem Schlitten,
immer mit Rucksack, zum Einkaufen in den Ort ausgerückt. Jetzt
kreuzte die B145 ihren Weg. Die Überquerung der neuen Bundesstraße
überlebten sie nicht.
Lebt in Linz: Derzeit bedeutet das einmal mehr: lebt inmitten großer
Baustellen und Schutthalden und vermutlich werden es noch mehr. Spitäler
wurden weg geschoben, verwertbare Teile heraus gefieselt, Gemäuer
zerkrümelt und zermalmt. Ein Schuttgebirge hat den Platz des
UKH eingenommen, ein anderes den Standort der Frauenklinik. Hier verschwanden
auch die Buchen, die Blutbuchen, die Linden und die Schattenbänke;
der gesamte Park der Klinik musste weichen, geblieben ist ein Schuttfeld.
Es entstanden neue Perspektiven: Der ungehinderte Blick auf die Südfassade
der Tabakfabrik. Klinker und Glas, sanft geschwungen, funktionell,
schön. Klassische Moderne, erst jetzt als ganze Achse einsehbar.
Oder der Blick vom ehemaligen Frachtenbahnhof über die Gleise
der Westbahn zum Franckviertel, zur Chemie und zur Voest. Einmalig
und ein ganz seltener Anblick in der Stadt dieser leere, offene Raum
bis zu den Gleisen der Westbahn und dann graue Eisenbahnerhäuser
mit bröckelndem Verputz hinter Lärmschutzwänden der
Bahn, daneben mit kräftig-buntem Sichtschutz vor gläsernen
Fronten die jüngsten Beispiele sozialen Wohnbaus der Koref-Siedlung
und darüber die Rauch- und Dampfwolken Installation der Industrie,
weiß, gelb, rosa, grau, in jeder Höhe und in sich ständig
verändernden Formen. Diese Sicht über freie Flächen
ist temporär. Bald werden sich neue Hochhäuser in den Himmel
türmen und neue Blickwinkel vorgeben.
Andere Baustellen verstellen die Sicht. Und selbst wenn das Gebäude,
das hier einmal entstehen soll, zum Teil in der Erde verschwinden
wird, löst der Anblick der Baustelle ein ungutes Gefühl
aus, dasselbe Gefühl übrigens, das sich nach Fertigstellung
der Hochwasser-Schutzmauer in Alturfahr West als störender, zerstörender
Eingriff im Linzer und Urfahraner Stadtbild manifestierte. Etwas Unerträglicheres
als die Baustelle vor der Stadtwerkstatt gibt es derzeit in Linz nicht.
Unter der Woche dröhnen die Bagger und Bohrer, Hämmer und
Laster. Große Schaufeln und schwere Gewinde wühlen und
schlagen sich mit Getöse und Erschütterung in die Erde.
Das gibt im schalldichten Studio von Radio Fro Erklärungsbedarf:
Der Verkehrslärm im Hintergrund kommt von der Donaulände,
weil das eingespielte Interview im Stifterhaus aufgenommen wurde,
die Musikfetzen kommen vom Urfahraner Markt, das Kreischen, Gellen
und Wummern und der Motorenlärm von der AEC-Baustelle vor dem
Haus, hallo, ich hoffe, die HörerInnen von Radio Fro und dem
freien Radio Freistadt hören auch die Sendung... Den Gästen
des Café Strom nimmt die Baustelle die Sicht auf die Donau,
auf das Lentos, auf die Skyline von Linz. In die aufgerissene Erde
hinein wird das AEC erweitert mit Ausstellungsräumen und Veranstaltungsflächen
und das Gebäude als Gegenpol zum Lentos wird zur Lichtskulptur.
Bis das Museum der virtuellen Zukunft die reale Baugrube ausfüllt,
wird noch viel Wasser die Donau hinunterrinnen, noch mehr Staub aufgewirbelt
und viel Lärm produziert werden. Starke Nerven der Stadtwerkstatt
und allen AnrainerInnen !!!
Die Kulturhauptstadt 2009 gibt es nicht umsonst und deshalb werden
Bagger, Kräne, Kipper und Betonmischer in Marsch gesetzt um Schneisen
zu schlagen, Perspektiven zu ändern und Neues entstehen zu lassen:
AEC, Oper, Hotels, Tiefgaragen, Parkplätze. Die erwarteten Massen
der Kulturstadt-Interessierten brauchen Platz, Unterkunft und Abstellflächen.
1800 brannten das Schloss, das Landhaus und ein großer Teil
der Altstadt. Dieser Brand gab Anlass zur Stadterweiterung. Der Stadtgraben
wurde zugeschüttet, die Stadtmauer geschliffen und der Hauptplatz
durch die Schmidtorstraße mit der Landstraße verbunden.
1868 rammte ein Schiff einen Pfeiler der damals noch hölzernen
Donaubrücke. An Stelle der hölzernen Brücke wurde eine
eiserne gebaut. Deren Pfeiler veränderten die Strömung der
Donau. Der Fabriksarm, ein Nebenarm der Donau, verlandete. Linz erhielt
einen Ringkanal und auf der Strasserinsel, die jetzt keine Insel mehr
war, ein Naherholungsgebiet, von dem Bäume im Parkbad geblieben
sind.
Als Führerstadt erhielt Linz bei der Stadterweiterung besondere
Beachtung und neben den Hermann-Göring-Werken die Nibelungenbrücke,
eine neue Nordfront für den Hauptplatz und Wohnbau in Form von
Vierkantern auf den grünen Wiesen am Stadtrand von Urfahr und
Linz und durch die Bombardierungen wieder Schuttberge und freie
Flächen.
Lebt in Linz heißt lebt mit relativ niedriger Miete in einem
dieser Vierkanter, die jetzt nicht mehr Hitlerbauten sondern GWG-Bauten
genannt werden. Im Hof stehen ein Nussbaum und zwei Linden, eine Trauerweide
und zwei Kastanien. Außerdem hat jede Stiege ihren Wäscheplatz
und die Kinder im Sandkisten-Alter sind vom Verkehr abgeschirmt wie
die Katzen, solange es ihnen nicht einfällt, das Revier zu wechseln.
Die Bewohnerstruktur ändert sich. Jetzt sitzen auch Kinder mit
dunklen Gesichtern auf der Schaukel und den Mistkübel leeren
auch Frauen mit Kopftuch aus.
In Wien ist in Gemeindebauten das Aufhängen von Wäsche im
Freien verboten. In Linz nicht. Deshalb gibt es Ärger. Es herrschen
Regeln, die heutzutage in keiner Hausordnung mehr zu finden sind,
aber immer noch gelten. Wer seine Wäsche aufhängen will,
muss zuerst einmal »markieren«, das heißt, die leere
Wäscheleine aufhängen. Vor Einbruch der Dunkelheit ist die
Wäsche wieder von der Leine zu holen und die Leine von den Balken.
Benützen darf man nur den Wäscheplatz vor der eigenen Stiege,
auch wenn alle anderen leer sind oder noch nicht im Schatten liegen.
Im Idealfall ist die Leine mit speziellen Latten hoch zuspreizen,
damit niemand in die Leintücher rennt. Und dann passiert es,
dass eine alte Nachbarin von der Nebenstiege in unsere Leine rennt,
die auf »ihrem« Wäschplatz hängt, weil dort
noch kein Schatten ist. Sie sieht schlecht. Sie übersieht, dass
Geschirrtücher und Waschlappen auf der Leine hängen. Sie
sieht sich im Recht. Sie läuft ins Haus, kommt nach kurzer Zeit
wieder heraus, holt aus der Kleiderschürze eine Schere und schneidet
die Wäscheleine durch. Dann bringt sie die Schere zurück
und schaut triumphierend aus dem Fenster.
Mit der Welt ist auch das Wissen um das Aufeinanderwirken von Vergangenheit,
Gegenwart und Zukunft und das Wissen um Kontinuitäten und Brüche
in mir. Das ist es, was eine Stadt und das Leben in der Stadt spannend
macht.
Ich lebe in Linz ohne sichtbares »derzeit« aber mit dem
festen Vorsatz, meine Wäscheleine jederzeit auch an anderen Orten
aufzuhängen.
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