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»Wannst net brav bist, kommst ins Heim..........«

WEGSCHEID - Von der Korrektionsbaracke zum sozialpädagogischen Jugendwohnheim - Eine Ausstellung

Von Michael John


Im Juni 2006 wurde am Stadtrand von Linz, in Wegscheid, eine Wanderausstellung zur Geschichte enes Heimes für sogenannte »verhaltensauffällige« Jugendliche eröffnet. Was oder wer »verhaltensauffällig« ist, wird von der Gesellschaft definiert, hat also mit den gesellschaft-lichen Normen, Erziehungsvorgaben und Erziehungsstilen zu tun, die in dieser Ausstellung ebenfalls diskutiert werden.
Der erste Besucher nach der Eröffnung in dem – Anrainer mögen mir verzeihen – wenig anheimelnden Stadtteil hat bei allen Anwesenden großen Eindruck hinterlassen: Es erschien ein über 50 Jahre alter Herr im Rollstuhl mit seiner Gattin und erzählte, dass er selbst in den 1960er Jahren hier als Insasse gelebt habe: »Es ist gedroschen worden, bis die Schwarten krachten, mit den Erziehern hat man sich nicht spielen brauchen. Es war brutal. Wir waren der letzte Dreck.« In weiterer Folge stellt sich heraus, dass er als schon etwas älterer Bursch selbst Kapo in seiner Wohngruppe war: »Da hast Du Dich durchsetzen müssen, meine Güte, da ist mancher Zahn geflogen und Blut geflossen.« Erzieher setzten diese Jugendlichen als Ordnungskräfte ein, dafür gab es gewisse Privilegien. Herr Alois F. fuhr fort, dass er sich dafür jetzt schäme, dass er sich überhaupt schäme, jemals in Wegscheid gewesen zu sein. Erst vor einigen Jahren, nach einem Schlaganfall habe er seiner Frau gestanden, dass er von der Fürsorge in seiner Jugend nach Wegscheid eingewiesen worden war. Voller Emotionen verließ das Ehepaar das Gebäude.
Die Anstalt Wegscheid galt in den 1950er und 1960er Jahren als sehr »hartes« Heim, es wurde gleich nach Kaiser Ebersdorf und Eggenburg gereiht. Mitunter war auch noch die Geistes-haltung vergangener Jahrzehnte zu spüren. Nach seiner Einrichtung im Jahre 1951 arbeiteten dort über Jahrzehnte hinweg ehemalige Soldaten, ehemalige Nationalsozialisten und SS-Männer, aber auch Polizisten, Taxifahrer und Personen aus diversen Berufen, die anderweitig unerwünscht geworden waren. Man dachte, mit dieser Mischung die »schweren Jungs« gut unter Kontrolle halten zu können. Mehr noch, deren Verhalten sollte »korrigiert« werden, daher der Begriff der »Korrektionsbaracke«. Neben straffällig gewordenen Jugendlichen lebten in Wegscheid auch Kinder, die niemand haben wollte, abgeschobene, missbrauchte, misshandelte Kinder.

»Ich habe geglaubt, jetzt knallt er mich ab«, erinnert sich der langjährige Heimleiter Alois Brandstätter: »Es kam einmal ein Mann zu mir, der hier Zögling war. Er hatte eine immense Wut und ich habe mich schon nach Fluchtmöglichkeiten umgesehen. Plötzlich hat er kehrtgemacht, hat sich umgedreht und weg war er......Es kamen öfter ehemalige Zöglinge ins Haus. Es ging dabei um anrechenbare Pensionsversicherungszeiten, aber die Leute waren damals nicht versichert. Sie sagen, Zwangsarbeit war das, wir wurden gezwungen, man hat uns geschlagen und den Kopf geschoren. So ähnliche Sätze habe ich schon mehrfach gehört.« Tatsächlich galten in Österreich bis 1954/55 Reichsgesetze aus dem nationalsozialistischen Deutschland, Mitte der fünfziger Jahre wurde ein Landesfürsorgegesetz beschlossen. Die Jugendlichen der Anfangszeit, die in Baracken untergebracht waren, haben tatsächlich Zwangsarbeit geleistet. Sie waren bei der Sozialversicherung nicht angemeldet, auf Pensionszeiten sind die Jahre oder Monate nicht anrechenbar. Abgesehen von der Jugendfürsorge blieb der Arbeitszwang theoretisch Teil der Fürsorgepraxis. Erst aus dem Ober-österreichischen Sozialhilfegesetz des Jahres 1973 verschwand der Arbeitszwang definitiv aus der Gesetzgebung.

Stacheldraht, Korrektionsräume und körperliche Züchtigung gehörten zum pädagogischen Repertoire der Anfangszeiten und sind wohl auch Ausdruck dessen, wie man in der Gesellschaft mit Außenseitern umging. Es herrschte ein Klima der Gewalt, physisch ebenso wie strukturell. Ein professionelles Berufsbild des »Erziehers« oder »Sozialpädagogen« existierte lange Jahre nicht. Als Reflex auf die Studenten- und Jugendrebellion von 1968 kann gedeutet werden, dass 1971 unter der Mitwirkung von Günther Nenning von Spartakisten und anderen linksgerichteten Aktivisten versucht wurde, das Heim zu besetzen, um auf die problematische Situation hinzuweisen. Mittlerweile hat sich Wegscheid zu einem modernen sozialpädagogischen Jugendwohnheim entwickelt, in welchem durch die Kooperation diverser Expertinnen, Experten und erfahrenen Personals Konzepte zur Bewältigung der Lebenssituation männlicher und weiblicher dissozialer Jugendlicher erstellt werden.

Die Entwicklung war allerdings durchaus nicht linear. Es gab Reformen und Rückschritte. Überdies ist die Grundproblematik der Einrichtung seit den frühen 1950er Jahren gleich geblieben – Integration oder Ausgrenzung in den verschiedensten Schattierungen. »Wannst net brav bist, kommst nach Wegscheid«, bekamen die Kinder im Süden von Linz vor fünfzig Jahren zu hören und mitunter hören sie es auch heute noch. Verändert hat sich mittlerweile der Stellenwert, den die Gesellschaft dieser Thematik zuwendet.
Vor einigen Jahren entstand die Idee, eine Ausstellung zur Geschichte des Heimes zu erarbeiten. Den Rand ins Zentrum rücken, zumindest ein wenig - gesellschaftlichen Gruppen, die im Alltagsleben nur wenig im Licht der Öffentlichkeit stehen, mehr Aufmerksamkeit schenken - ohne sie jedoch »vorzuführen«. Nach Gesprächen mit dem für die Jugendwohlfahrt zuständigen Landesrat Ackerl, der die Bedeutung der historischen Dimension einzuschätzen wusste, wurden die notwendigen Mittel bereit gestellt. Bilderfolgen und Texte führen in die Geschichte des Wohnheims ein, Arbeiten des Malers Othmar Zechyr, der »Zögling« in Wegscheid ebenso wie in Kaiser Ebersdorf war, geben Einblick in die Befindlichkeit eines Betroffenen. Terminals mit Statistiken und Zusatzinformationen, Videoinstallationen mit Zeitzeugen und Zeitzeuginnen, Modelle eines »idealen« Jugendwohnheims und Präsentationen der Jugendlichen ergänzen die Darstellung.
Der Soundtrack von Christoph Herndler rundet schließlich die Ausstellung ab, verleiht dieser einen entsprechenden emotionalen Ausdruck. Es handelt sich insgesamt in erster Linie um ein kulturwissen-schaftlich und sozialhistorisch angelegtes Projekt, das von den Anfängen der Zweiten Republik bis in die jüngste Vergangenheit reicht und die Themen Ordnung, Gesellschaft, Integration und Jugend diskutiert. Die Schau wurde im Auftrag des Jugendwohnheims von einem kleinen Projektteam um Michael John (Wissenschaft) und Manfred Lindorfer (Gestaltung) ausge-arbeitet. In Österreich handelt es sich wohl um die erste Aus-stellung, die dieses noch nicht lange zurückliegende Kapitel der Zeitgeschichte behandelt.

Im Jahre 1989 wurde hierzulande das elterliche Züchtigungsrecht abgeschafft, schon vorher durfte man in Schulen und Heimen nicht mehr schlagen: ein Meilenstein. Die Annahme, dass jedoch für alle Zeiten ein pädagogisch geprägter, toleranter und zivilisierter Umgang mit dissozialen Jugendlichen gesichert ist, wäre sehr optimistisch. Ein Blick in die Nachrichten zeigt, dass man nicht unbedingt weit in die Vergangenheit, nicht bis in die Jahre des Nationalsozialismus zurück gehen muss, um zu entdecken, dass es auch heute politische Kräfte gibt, die eine Herabsetzung der Strafmündigkeit fordern - ebenso wie härtere Jugendstrafen und geschlossene Anstalten. In den Niederlanden etwa beträgt die Strafmündigkeit nicht vierzehn Jahre wie in Österreich, sondern zwölf. In eigenen Jugendgefängnissen sind tausende Halbwüchsige untergebracht. In Großbritannien liegt die Strafmündigkeit bei zehn (!) Jahren. »Zero Tolerance« ist ein Produkt, das sich weltweit gut verkauft. Und auch in einigen Instititutionen in Österreich – nicht in Wegscheid – wird gegen das Gesetz gehandelt, gibt es »Besinnungsräume« und mitunter kommen auch körperliche Bestrafungen vor.

Die Ausstellung ist zur Zeit noch in Wegscheid selbst zu sehen, im Sozialpädagogisches Jugendwohnheim Linz Wegscheid, Bäckermühlweg 39, A-4040 Linz, Voranmeldung erforderlich: 0732 38 06 51, Klappe 170, Mag. Lehner. Als nächste Station der Wanderausstellung ist der Lern- und Gedächtnisort Hartheim vorgesehen.
Katalog: Michael John/Wolfgang Reder, Wegscheid. Von der Korrektionsbaracke zur sozialpädagogischen Institution, Linz 2006, ISBN-10: 3-200-00657-9 (zu beziehen über das Jugendwohnheim, Kontakt siehe oben).