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Unangebracht
Christian Pichler über Tafeln auf der Nibelungenbrücke
»Mit dem Überschreiten dieser Brücke
endeten im Jahre 1945 die Schrecken der Vertreibung für zehntausende
Sudetendeutsche«
Das Schild mit der zitierten Aufschrift ist auf der Linzer Seite der
Nibelungenbrücke angebracht. Es wurde 1985 auf Betreiben der
Sudetendeutschen Landsmannschaft montiert.
Die Nibelungenbrücke wurde mit Granitblöcken aus dem Konzentrations-lager
Mauthausen gebaut.
Im Februar 2006 standen zwei große Werbetafeln auf der Urfahraner
Seite der Nibelungenbrücke beim Ars Electronica Center. Diese
Werbetafeln verkündeten das Jubiläum eines großen
Versandhauses. Warum wird für die Öffentlichkeit nicht auf
Schautafeln die Geschichte der Nibelungenbrücke erläutert?
Zur Historie gehört Folgendes:
Für den Bau des Konzentrationslagers Mauthausen wurden ab August
1938 Häftlinge aus dem Konzentrationslager Dachau zwangsverpflichtet.
Bis zur Befreiung durch die US-Amerikaner am 5. Mai 1945 wurden rund
200.000 Menschen in das KZ Mauthausen verschleppt, rund die Hälfte
von ihnen wurde ermordet. Die durchschnittliche (Über-)Lebensdauer
eines Häftlings im Lagersystem von Mauthausen betrug sechs Monate
(Quelle: Ö1-Journal vom 4. Mai 2005). Für Menschen jüdischer
Herkunft betrug die Lebensdauer durchschnittlich einige Wochen, in
den Steinbrüchen wenige Tage.
In den meisten Häftlingsakten von Mauthausen befand sich der
Vermerk »R.U.«: Rückkehr unerwünscht. Bis 1942
galt das Prinzip »Vernichtung durch Arbeit«, ab 1942 wurden
Häftlinge vergast. In den Steinbrüchen waren die Häftlinge
der Willkür der SS-Wachmannschaften ausgesetzt. Wer es auf der
sogenannten Todesstiege bis nach oben schaffte, konnte jederzeit von
einem SS-Mann über den Rand des Steinbruchs hinab gestoßen
werden »Fallschirmspringerwand« hieß das
im zynischen Jargon der Nazis.
Folgender Text könnte auf einer Schautafel auf der Nibelungenbrücke
stehen; der Text wurde 1941 im Konzentrationslager Mauthausen von
Wlodzimierz Wnuk geschrieben:
»Wir sind die lebenden Steine,
harte und nackte Felsen.
Wir schwitzen bei Sonne und Schlägen
im Steinbruch Mauthausen-Gusen.
Wir sind die lebenden Steine,
obdachlose Steine.
Uns küssen keine Flüsse,
uns tötet der verfluchte Schütze.
Wir sind die lebenden Steine
aus der Tiefe der Hölle,
wir Sklaven müssen doch glauben
an Menschen Menschen und Liebe.«
LinzerInnen profitierten
Linz war an den Morden im KZ Mauthausen beteiligt. Ein Beispiel, die
Zeugenaussage im Jahr 1970 des Häftlings Johann Kanduth, im Krematorium
beschäftigt, KZ-Überlebender:
»Der erste Vergasungsversuch wurde an Tieren vorgenommen, wobei
ein Slupetzky aus Linz anwesend war. (
)« (Die Firma Slupetzky
existiert noch heute. Sie lieferte Zyklon B nach Mauthausen. Hilfreich,
um an solche Informationen zu gelangen, ist das Dokumentationsarchiv
des österreichischen Widerstandes, DÖW.)
Die Stadt Linz hat materiell profitiert vom Konzentrationslager Mauthausen
(und den Nebenlagern), die Folgen reichen bis in die Gegenwart (für
die Göring-Werke, heute Vöest, haben Zwangsarbeiter geschuftet).
Den Bau der Nibelungenbrücke hatte Hitler gleich nach dem Einmarsch
in Österreich im März 1938 befohlen, sie wurde 1940 fertiggestellt.
Die Stadt Linz hat in den vergangenen Jahren Vorbildliches geleistet,
um die NS-Zeit historisch aufzuarbeiten. Wichtige Publikationen sind
erschienen (einige Informationen für diesen Artikel habe ich
dem lesens- und sehenswerten Buch entnommen: »Nationalsozialismus.
Auseinander-setzung in Linz. 60 Jahre Zweite Republik«, Linz
2005, Archiv der Stadt Linz). Für diesen Artikel fragte ich bei
Walter Schuster nach. Schuster ist Direktor des Linzer Archivs (im
Neuen Rathaus), er war u. a. maßgeblich an besagter Publikation
beteiligt. Erste überraschende Auskunft: Die Nibelungenbrücke
falle nicht unter Linzer, sondern unter die Kompetenz des Bundes.
Somit sei auch die - derzeit schwarz-blorange - Bundesre-gierung dafür
zuständig, welche Schilder, Tafeln etc. an der Brücke
angebracht werden. Frage an Schuster: Wurden für den unmittelbaren
Bau der Brücke Zwangsarbeiter eingesetzt? Vermutlich nicht, meint
Schuster, es seien Freiwillige gewesen: »Es gibt darüber
keine wissenschaftliche Untersuchung. Eventuell«, räumt
Schuster ein, »wurden französische Kriegsgefangene eingesetzt«.
Sudetendeutscher Widerstand
Der Linzer Bürgermeister Franz Dobusch und Landeshauptmann Josef
Pühringer äußerten sich im Sommer 2004 kuschelweich
zum Thema Kennzeichnung der Nibelungenbrücke, seither ist noch
nichts passiert. Keine Zeit? Rücksichtnahme auf ziemlich konservative
WählerInnenseg-mente? Pühringer (OÖN vom 16. Juli 2004):
»Wir haben nie etwas gegen Gedenktafeln für KZ-Häftlinge.
Der Brief ist aber noch nicht eingetroffen.« Dobusch: »Die
Frage Nibelungenbrücke soll nicht politisch, ohne Klärung
durch Historiker, entschieden werden.«
Wenn nun schon dies als historische Ergänzung unbedingt
Menschen sudetendeutscher Herkunft an der Nibelungenbrücke gedacht
werden sollte, dann jener, die im Mai und Juni 1938 zu zehn Prozent
gegen den Anschluss des Sudetenlandes an Nazideutschland stimmten.
1938 waren in der damaligen Tschechoslowakei ca. 90 Prozent der deutschen
Stimmen auf die Sudetendeutsche Partei entfallen. Parteiführer
war Konrad Henlein, ein Mann, der sich bei einer Rede in Wien rühmen
sollte, den »Sudetengau« als ersten Gau »judenfrei«
zu machen. Nach Auskunft des Deutschen Historischen Museums (dhm.de)
begrüßten die »meisten der knapp drei Millionen Sudetendeutschen«
die Wehrmachtstruppen im Herbst 1938 »begeistert«. Zu
denen, die sich 1938 für den Erhalt der Tschechoslowakei einsetzten,
gehörten überzeugte Christen (vor allem Katholiken), Kommunisten
und Sozialdemokraten (radio.cz/de). Im Oktober 1938 wurden geschätzte
20.000 Gegner Nazideutschlands im »Sudetengau« verhaftet.
Im Laufe des 2. Weltkriegs wurden geschätzte 15.000 sudetendeutsche
Sozialdemokraten und 7000 Kommunisten verhaftet, mindestens 450 von
ihnen wurden hingerichtet.
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