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Steirisches Erz für Linz
Erfahrungen mit einem Projekt zur NS-Zwangsarbeit
Von Günther Jacob
Der steirische Erzberg. Sein Anblick ist beindruckend. An bestimmten
Sonnentagen glänzt er wie eine goldene ägyptische Pyramide,
die auf wunderbare Weise mitten in die Alpen geraten ist. Die Kleinstadt
Eisenerz am Fuße des Berges ist nicht weniger eigenartig. Sie
hat nichts Ländliches, nichts von all dem, was man auf dem Weg
hierher gesehen hat. Es sind meist mehrstöckige Häuser,
gewaltige Arbeitersiedlungen, wie man sie keinesfalls mitten in den
Alpen erwartet. Und am Stadtrand dann dieses Schloss, ein Jagdschloss
von Hermann Göring!
Für den Besucher ist es ein Ort voller Rätsel. Wie kommt
dieser jüdische Friedhof hierher? Warum sind die Leute so abweisend,
wenn man danach fragt? Wo sie doch so gerne Geschichten über
»früher« erzählen, über die Römerzeit
und mittelalterliche Wassermannsagen.
Fast jedes österreichische Schulkind kennt diesen Berg aus Eisen,
auf dem gigantische Lastwagen Erz transportieren und am Wochenende
Touristen. Wer nicht selbst dort war, hat wenigstens ein Bild davon
im Kopf, sei es durch die Übertragung eines HipHop Open Air oder
wegen der vielen Motorradrennen, die Red Bull Hare Scramble oder Erzberg
Rodeo heißen.
Doch viel wird meistens nicht gewusst über den Erzberg. Nicht
einmal in Linz, obwohl von dort aus - auch heute noch - täglich
zwei Mal eine Taurus-Lokomotive mit 18 Waggons im Schlepptau zum Erzberg
fährt, denn dort werden immer noch rund 2 Millionen Tonnen Erz
abgebaut. Etwa 1,3 Millionen Tonnen davon sind für das Linzer
Werk der voestalpine bestimmt. Ungefähr so viel wie 1936. Vom
Erzberg bezieht Linz immerhin noch die Hälfte seiner Erze!
Der Erzberg ist heute Eigentum der VOEST-ALPINE Erzberg GmbH, die
durch einen Erzliefervertrag an Linz angebunden ist. Es ist also in
den Grundzügen immer noch das Ursprungskonzept erkennbar. Dazu
gehörte damals allerdings auch das KZ Mauthausen, das Häftlingsarbeiter
sozusagen mit Rücknahmegarantie lieferte: wer nicht mehr konnte,
wurde dort umgebracht.
Im April 1938, nur wenige Wochen nach dem Anschluss Österreichs
an das Deutsche Reich, hatte Göring in Linz den Entschluss zur
Errichtung der Hermann-Göring-Werke bekannt gegeben. Im nun »Ostmark«
genannten Österreich entstanden neue industrielle Großprojekte.
Die Hermann-Göring-Werke übernahmen in Hinblick auf die
künftige Rüstungsproduktion Mehrheitsbeteiligungen an den
Eisen- und Stahlwerken Alpine Montan, den Automobilwerken Steyr-Daimler-Puch
und den Gussstahlwerken in Judenburg.
Nach dem Willen der NS-Planer sollten zur Absicherung der Versorgung
im Kriegsfall »heimische« Erzvorkommen genutzt werden.
Damit war vor allem der steirische Erzberg gemeint, der mit in Tagebau
und Stollenbaubetrieb gewonnenen 1,8 Millionen Tonnen Erzproduktion
1937 fast ein Viertel der Förderung in Deutschland und Österreich
ausmachte. Man wollte die Produktion nun auf sechs Millionen Tonnen
anheben. Doch spätestens seit dem Überfall auf Polen reichten
die Arbeitskräfte nicht mehr aus, weil immer mehr Männer
zur Wehrmacht eingezogen wurden. Im Dezember 1939 kamen die ersten
300 von 1.500 angeforderten polnischen Arbeitskräften am Erzberg
an. Am Ende wurden dort Tausende unter furchtbaren Bedingungen ausgebeutet:
Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen aus vielen Ländern, Kriegsgefangene
und KZ-Häftlinge aus Mauthausen.
Im Rundfunkarchiv Frankfurt findet man den ersten Betriebsappell der
REICHSWERKE HERMANN-GÖRING in Linz vom 19.2.1941 mit den Ansprachen
verschiedener »Betriebsführer« und »Gauleiter«:
»Verehrte Gäste. Arbeitskameraden. Hier, wo sich heute
Industriegebäude an Industriegebäude reiht, dehnten sich
damals die weiten Auen der Donau, dehnten sich die Felder und Wiesen
der Bauern. ... Die Entscheidung ist gefallen, daß wir drei
große Gruppen in dem größten Konzern des großdeutschen
Reiches haben. Es ist die Gruppe Waffen-Maschinenbau, Binnenschifffahrt
und für Berg und Hüttenbetriebe. ...Und damit, Gauleiter,
Gäste und Kameraden, ist ein historischer Tag gekommen: Die Verbindung
mit dem Erzberg, der der Mittelpunkt der Eisenindustrie im großen
deutschen Reiche immer gewesen ist. Zum ersten Mal wird auf dem Gebiet
von Oberdonau steirisches Erz vom steirischen Erzberg verhüttet
werden.«
So hat es also angefangen. Linz, der Erzberg und Mauthausen
ein tödliches Dreieck, jedenfalls für jene, die nicht zur
Herrenrasse gezählt wurden. Jetzt ist alles privatisiert. Die
Aktie der voestalpine wird bald bei 100 Euro liegen. Dumm war, wer
sie nicht im Jahr 2003 für 30 Euro gekauft hat. Das sind die
Tatsachen. Der Rest ist Geschichte. Die NS-Zwangsarbeiter sind entschädigt.
Jedenfalls 132.000 von ihnen. Sind das nicht auffällig wenige?
Wer will das noch wissen? Es ist doch alles gut ausgegangen. Oliver
Rathkolb hat vor 4 Jahren die beiden Bände »NS-Zwangsarbeit:
Der Standort Linz der 'Reichswerke Hermann Göring AG'«
und »Zwangsarbeit - Sklavenarbeit: (Auto-) Biographische Einsichten«
herausgegeben mit wohlwollender Unterstützung der voestalpine,
die da als Weltkonzern sozusagen durch musste. »Plötzlich«
stand man in Linz vor dem »größten Nachkriegsfund
an NS-Personal- und Lohnunterlagen eines Unternehmens«, denn
in einem Flakturm aus dem II. Weltkrieg waren wundersamerweise die
Unterlagen über das Schicksal von über 20.000 zivilen ausländischen
Arbeitskräften wieder aufgetaucht.
Nur für die Sichtung und Sicherung der Erzbergakten, die
das versicherte mir damals Oliver Rathkolb teilweise ebenfalls
dort liegen, gab und gibt es kein Geld, keinen Forschungsauftrag und
kein Interesse, denn die dort oben am Erzberg, die betreiben keinen
Welthandel, sondern verschieben ihr Erz nur bis Linz und Donauwitz,
weshalb ihnen die Weltmeinung über all die Leichen, die dort
unter den Gesteinshalden verschachert sind, einfach egal sein kann.
Deshalb muss man auch niemand in die ohnehin weitgehend »entsorgten«
Archive vor Ort lassen und deshalb sollte man das Thema dort
in einer Kneipe besser nicht ansprechen.
Anders gesagt: Der Erzberg, wo Tausende Zwangsarbeiter dafür
schuften mussten, dass in Linz Stahl für die Wehrmacht gefertigt
werden konnte, ist bis heute praktisch unerforscht. Voest-Alpine Erzberg
und die Gemeinde Eisenerz haben erfolgreich verhindert, dass das Wissen
um die historischen Ereignisse nach außen dringt. Und das wird,
aus Gründen, die noch zu erwähnen sind, wohl auch in Zukunft
so bleiben.
Bekannt sind seit wenigen Jahren nur einige Eckdaten:
Am Erzberg gab es ein Lager für etwa 600 Wiener Juden, die von
1940 bis 1941 (also vor den Deportationen »in den Osten«)
dort im »geschlossenen Arbeitseinsatz« (formal sogar bezahlte)
Zwangsarbeit leisten mussten. Außerdem mehrere Lager für
tausende Zwangsarbeiter und Kriegsgefangene aus aller Welt. 1939 waren
es 1700 Personen aus Slowakei, Polen, Jugoslawien. 1941 waren es bereits
4879 Zwangsarbeiter und 756 Kriegsgefangene. Im Januar 1944 waren
es 4514 Zwangsarbeiter (davon 575 Frauen) und 1871 Kriegsgefangene.
Die Gesamtzahl der Zwangsarbeiter und Kriegsgefangenen am Erzberg
liegt allerdings weitaus höher, denn es waren nicht immer die
selben Personen dort. Kranke wurde oft nach Mauthausen geschickt,
wo sie ermordet wurden. Insgesamt dürften bis zu 16.000 Menschen
in dieser kleinen Stadt mit nur wenigen tausend Einwohnern geschuftet
haben. Es muss ein Hexenkessel gewesen sein! Und die genauen Todeszahlen
sind bis heute unbekannt. Aus dem Rapportbuch des KZ Mauthausen geht
zudem hervor, dass es am Erzberg eine Außenstelle gab. Dieses
»K-L. Eisenerz« existierte von Juni 1943 bis 14.3.1945
mit 527 Häftlingen. Davon haben 226 überlebt. Sehr wahrscheinlich,
aber vielleicht nicht mehr beweisbar ist, dass es auf der hinteren
Bergseite auch ein Lager mit einer Gaskammer gab. Es gibt einzelne
Zeugenaussagen und ein Foto in Privatbesitz. Es wird gesagt, man habe
die Gaskammer angesichts der näherrückenden Front nicht
mehr »in Betrieb« genommen, sie sei nach einer Sprengung
unter Millionen Tonnen Gestein vergraben.
Man ist gut im Beiseiteschaffen in Eisenerz. Als Archivare waren bis
in die 1960er Jahre alte Nazis tätig, einer sogar, der seinerzeit
in Graz als Mörder verurteilt worden war. Es gibt das Material
in Linz, das niemand sehen will. Es gibt einige Dokumente in Eisenerz,
die niemand sehen soll. Es gibt zu fast allen Nebenlagern des KZ Mauthausen
Dokumente. Und zu Eisenerz fast nichts. Es gibt von fast allen Gendarmeriestellen
der Steiermark Gendarmerieprotokolle. Doch zu Eisenerz wurden keine
gefunden. All das ist kein Zufall. In Eisenerz war die Mehrheit der
Bevölkerung direkt an der Unterdrückung der ausländischen
Arbeitskräfte beteiligt. Hinzu kamen die kollektiven Verbrechen
in der Endphase der Nazizeit, vor allem die Ermordung der ungarischen
Juden bei ihrem Todesmarsch über den Präbichel. Und Eisenerz
ist eine weit abgelegene, kleine Bergbaugemeinde. Da kennt jeder jeden,
da gibt man Fremden keine Auskünfte.
Doch in den Jahren 2000 und 2001 eröffnet sich durch eine besondere
gesellschaftliche Situation plötzlich ein Zeitfenster, eine kurze
Zeitdauer, in der es offenbar erstmals ein wachsendes Interesse an
der Aufhellung der verschwiegenen Ereignisse am Erzberg gibt. Dadurch,
dass zur selben Zeit die FPÖ in die Regierung eintritt und internationaler
Druck Österreich zwingt, einer Entschädigung der NS-Zwangsarbeiter
zuzustimmen, kommt es zu einer gewissen Mobilisierung grünalternativer
und linksliberaler Milieus, von Leuten, die sich für ein angesehenes
»gutes Österreich« engagieren und sich der Vergangenheit
daher stellen wollen. Besonders die Aufnahme der FPÖ in die Regierung
machte eine Auseinandersetzung mit dem Fortwirken der nationalsozialistischen
Vergangenheit in der Gegenwart (und damit auch nach der Neubearbeitung
der Vergangenheit) dringlich. Das Thema der Zwangsarbeit wiederum
erinnerte direkt an die materielle Seite dieser Tradierung
an die Geschichte der Industrialisierung der »Ostmark«,
an das »Wirtschaftswunder« der Nachkriegszeit und an die
Vererbung des Reichtums an die Jüngeren. So oder so stößt
man hierbei immer wieder auf die Hermann-Göring-Werke und damit
auch auf den Erzberg, der wegen seiner immensen Bedeutung für
die Aufrüstung der deutschen Wehrmacht, in vielen Dokumenten
erwähnt wird, zum Beispiel auch in den Protokollen der Nürnberger
Prozesse. Schon das wenige, was da steht, lässt erahnen, unter
welchem Gewaltdruck am Erzberg produzierte wurde.
Als ich nach ersten eigenen Recherchen aus einem ganz anderen Grund
im Jahr 2000 ins Grazer Forum Stadtpark eingeladen wurde, stellte
sich beim Abendessen heraus, dass gleich mehrere der anwesenden Grazer
Künstler private Beziehungen in die Region um den Erzberg hatten.
Einige kamen von dort und wunderten sich über ihr Nichtwissen,
in zwei Fällen waren die Großväter SS-Ärzte am
Erzberg, andere kannten wiederum Historiker, die in den 1980er Jahren
dort zur Arbeiterbewegung geforscht hatten. Dass der Vorschlag, der
Sache auch praktisch nachzugehen, sofort auf breite Zustimmung stieß,
das hängt mit der außergewöhnlich politisierten Situation
zusammen, die so nur wenige Monate bestand.
Das Konzept war schnell geschrieben. In bewußt polemischer Anspielung
auf den in dieser Sache ganz und gar gleichgültigen Steirischen
Herbst wurde das Projekt »Steirisches Erz« genannt
mit dem erklärenden Zusatz: » - eine politische und künstlerische
Lektüre kollektiver Gedächtnisspuren am Beispiel der NS-Zwangsarbeit
am Erzberg.« Das Forum Stadtpark stellte seine Infrastruktur
zur Verfügung. Zur gleichen Zeit entstand unabhängig davon
ein von Peter Kessen und mir produziertes Feature über die NS-Zwangsarbeit
am Erzberg, das im Februar 2001 vom Deutschlandfunk ausgestrahlt wurde.
Die Projektplanung sah folgende Aktivitäten vor: 1. Aufbau
einer Dokumentensammlung sowie Präsentation der Rechercheergebnisse
auf einer Homepage. 2. Eine Exkursion am 10. März 2001
mit politischen Aktivisten, Historikern, Journalisten und Künstlern
zum Erzberg. 3. Kontaktaufnahme zu ehemaligen Zwangsarbeitern.
4. Eine Konferenz mit ehemaligen Zwangsarbeiterinnen sowie
mit verschiedenen Forschern (Florian Freund, Helmut Fiederer, Evan
Burr Bukey, Fritz Weber, Peter Böhmer, Jan Otrebski, Walter Dall-Asen
u.a.) zum Thema »NS-Zwangsarbeit am steirischen Erzberg«.
5. Eine Ausstellung im Forum Stadtpark, in der das recherchierte
Material sowie künstlerische Arbeiten dazu präsentiert werden.
6. Politischen Druck auf die Gemeinde Eisenerz, die VOEST-
ALPINE Erzberg, die Bergwerkskassen und die Landesregierung mit den
Zielen: a. Zugang zu den Archiven. b. Einladung noch
lebender früherer Zwangsarbeiter. c. Hilfe für diese
bei der Suche nach Nachweisen, d. Kritik am Entschädigungsverfahren
durch Benennung der konkret verantwortlichen Betriebe statt durch
pauschale, also anonyme Zahlung aus Steuermitteln. e. Entschädigung
auch für damalige Kriegsgefangene. f. Rücknahme der
die Zwangsarbeit relativierenden Entschädigungszahlungen an ehemalige
Wehrmachtssoldaten. g. Markierung der Orte der Zwangsarbeit
(Arbeitsorte, Lager, Grabstätten) durch Gedenktafeln sowie eine
offizielle Entschuldigung des Bürgermeisters bei den früheren
Zwangsarbeitern und eine Einladung nach Eisenerz (etliche frühere
Zwangsarbeiter/innen hatten sich, weil sie keine andere Möglichkeit
sahen, an das Tourismusbüro der Stadt gewendet, ohne jemals eine
Antwort zu bekommen). h. Aufnahme der historischen Tatsachen
in die Stadtchronik und entsprechende Informationen bei den Touristenführungen.
i. Keine Motorradrennen und HipHop-Konzerte an den Orten,
an denen Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen gequält wurden.
j. Dokumentation der Rechercheergebnisse und Erfahrungen in
Buchform.
Ein umfassendes Programm zweifellos, aber das politische Klima war
günstig, das Vorhaben nicht so utopisch wie es heute wohl wirkt.
Doch bis Ende 2001 waren nur die Punkte 2 und 5 ganz und die Vorhaben
1 und 4 teilweise verwirklicht. Das Zeitfenster sollte sich schneller
schließen als erwartet. Es stellte sich heraus, dass ein grünalternatives
bis linksliberales Mittelschichtmilieu trotz bester Absichten und
trotz des erklärten Willens, es Haider & Co. zu zeigen, einer
derart unmittelbaren Konfrontation nicht gewachsen ist. Einer Konfrontation,
die sowohl die Auseinandersetzung mit der eigenen Verwandtschaft bzw.
regionalen Herkunft als auch mit der aggressiven Abwehr aus Eisenerz
umfasste.
Bereits auf der Rückfahrt von der Exkursion zum Erzberg im März
2001 hatten Teilnehmer behauptet, das Projekt trete in Eisenerz als
»Rächer« der Zwangsarbeiter auf, beschuldige pauschal
die lokale Bevölkerung und zerstöre dort die letzten Arbeitsplätze.
Die Empathie, die zunächst den NS-Opfern galt, kippte plötzlich
um in Mitleid mit der Tätergesellschaft und jenen, die sich mit
dieser identifizieren, obwohl sie selbst gar keine Schuld haben. Einzelne
Teilnehmer und einige Mit-Kuratoren nahmen später sogar Kontakt
zu lokalen Verantwortlichen auf und wollten unter Änderung
des Projektzieles in Kooperation mit ihnen eine sozialarbeiterisch
motivierte Heimatgeschichte aus dem Thema machen. Um an EU-Fördergelder
heranzukommen, verpflichteten sie sich zu einem Konzept, in dem sogar
die Zielsetzung »Förderung von Arbeitsplätzen«
in der Region vorgesehen war. Im Sommer 2002 führten zwei Mit-Kuratoren
des ersten Projektteils tatsächlich eine zweite Fahrt zum Erzberg
durch, deren zentraler Erfolg in der Anmietung des örtlichen
Stadtsaales bestand, womit die EU-Auflage erfüllt war. Man zeigte
dort ein Theaterstück ohne jeden Bezug zum Thema, aber auch diese
Anbiederung machte die Einheimischen nicht zutraulicher die
Veranstalter blieben unter sich.
Dabei war die Mehrheit der Teilnehmer und Teilnehmerinnen zunächst
sehr engagiert. Die Konfrontation mit den historischen Ereignissen
und der anhaltenden, sehr aggressiven Abwehr vor Ort hatte viele während
der ersten Exkursion tief getroffen, besonders aber jene, die einst
in der Regionen aufgewachsen waren oder verwandtschaftliche Beziehungen
in die Obersteiermark womöglich zu Mitbeteiligten
haben und nun mit den Lügen und dem Schweigen ihrer Familien
konfrontiert waren: Von der NS-Zwangsarbeit am Erzberg hatten die
meisten nie zuvor etwas gehört.
Nun fanden Seminare statt, Artikel wurden geschrieben, Radiosendungen
gemacht. Es entstanden verschiedene Dokumentationen, ein erster Lageplan
mit den Standorten aller Lager, mehrere Videodokumentationen (u.a.
über einen SS-Arzt am Erzberg), außerdem die Komposition
»Epitaph« ...eine musikalische Grabinschrift in 6 Teilen«,
der Entwurf eines Theaterstücks, mehrere Plakate (gegen ein Plakat
wurde von der Iron Mountain Entwicklungs Ges. eine Klage »wegen
Rufschädigung« angedroht) und etliche künstlerische
Auseinandersetzungen mit dem Thema. Die Eröffnung der Ausstellung
in Graz am 21. Juni 2001, dem Vorabend des 60. Jahrestages des Überfalls
der Wehrmacht auf die Sowjetunion, war trotz vieler Schwächen
ein explizit politisches Ereignis. Die Ausstellung selbst war gut
besucht, auch aus der Region Eisenerz kamen Besucher, allerdings auch
Kundschafter der dortigen Lokalfürsten.
Die entscheidende Bruchstelle des Projektes war offensichtlich die
Frage der »Anklage«. Man hatte sich nun mit den historischen
Tatsachen konfrontiert und war auch empört über das Schweigen
vor Ort. Doch was soll dann passieren? Zur Tätergeneration steht
man meistens in einem (unbewussten) Verpflichtungsverhältnis
- moralisch, psychisch und materiell. Soll man diese anklagen? Und
mit welchem Ziel und welcher Konsequenz? Und die Region; ist sie nicht
ohnehin schon schwer geschlagen durch Strukturschwäche, Arbeitslosigkeit
und ausbleibende Touristen? Jetzt drängte alles zur Katharsis.
Wenn man erst einmal gemeinsam geweint hat, war man endlich fähig
zum Mitgefühl mit den »eigenen Leuten«. Und
in diesem Moment war politisches Denken, das auf die Einhaltung explizit
bürgerlicher Mindeststandards pocht - Öffnung der Archive,
Markierung der Tatorte, Entschädigung und Entschuldigung bei
den noch lebenden ehemaligen Zwangsarbeitern - unmöglich geworden.
Freud prägte den Begriff der »Erinnerungsspuren«,
eine Art unbewußter Transmission, indem das von Eltern/Großeltern
Erlebte, unabhängig von direkter Mitteilung und von dem Einfluß
der Erziehung durch Beispiel, intergenerativ tradiert wird. Während
der Durchführung des Projektkonzeptes hat dieser Tradierungszusammenhang
seine Wirkung gezeigt.
Während der Durchführung des ersten Teils des Projektes
beherrschte das Thema NS-Zwangsarbeit angesichts des Streites um Entschädigungszahlungen
die Titelseiten aller Zeitungen. Unser Gegenstand war alles andere
als abgelegen. Man benötigte weder Spezialwissen noch eine außergewöhnliche
Courage, um sich daran zu beteiligen. Dennoch waren viele Beteiligte
nicht bereit, die politische Aktualität des Projektes anzuerkennen.
Dieses Heraushalten von Politik war eine besonders irritierende Erfahrung.
Während die Einfühlung in die Befindlichkeit der Bevölkerung
von Eisenerz die Diskussionen immer stärker beherrschte, verschwanden
die realen Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen, die in der Tagespresse
immerhin Thema waren, aus der Wahrnehmung. Damit fehlte auch das Motiv,
politischen Druck auszuüben. Es wäre damals möglich
gewesen, über einzelne Abgeordnete einen Antrag auf Öffnung
der Archive in Eisenerz im steirischen Landtag einzubringen. Durch
ein entschlossenes Auftreten hätte auch der Druck auf die Lokalpolitiker
erhöht werden können (die bei jeder Erwähnung um den
Tourismus bangten). Da diese jedoch schon bald die Unentschlossenheit
auf unserer Seite bemerkten, gingen sie selbst in die Offensive und
reagierten mit einer massiven Drohkampagne gegen örtliche Unterstützer
des Projektes, die so gedemütigt wurden, dass einige uns baten,
die Verbindung abzubrechen.
Das Projekt »Steirisches Erz« hatte erstmals in Österreich
die NS-Zwangsarbeit am Erzberg und ihren Zusammenhang mit der Stahlproduktion
in Linz sowie mit dem KZ Mauthausen thematisiert. Nach etlichen Rundfunk-
und Presseberichten über das Projekt und durch die verschiedenen
Aktivitäten in der Steiermark, kann nicht weiter behauptet werden,
da wäre nichts geschehen. Entsprechend alarmiert war man in Eisenerz
und Umgebung. Nach dem entpolitisierenden Verlauf des Projektes im
Jahr 2002 ist dort wieder die Normalität eingekehrt. Einzelne,
die zeitweise bei dem Projekt mitmachten, haben sich mit Lokalpolitikern
und anderen Gegnern des Projektes zusammen getan. Einige setzten sich
plötzlich für ein Denkmal für die ungarischen Juden
ein, die 1945 während eines am Erzberg vorbei führenden
Todesmarsches erschossen wurden. Wir machten die eigenartige Erfahrung,
dass sie dieses »Thema« deshalb mehr interessierte, weil
es sich bei den Mördern um eine kleine Gruppe handelte, die schon
1945 hingerichtet worden war. Die Thematik der NS-Zwangsarbeit wurde
demgegenüber als belastender empfunden, weil sich hier die ganze
lokale Bevölkerung an der Drangsalierung beteiligt hatte.
Die Akteure von damals haben sich längst verlaufen und zerstreut.
Der Erzberg taucht nur am Rande noch in den Künstlerbiographien
auf als eines von vielen Projekten in einem Leben, das sich
als Reihung von Projekten darstellt, als staatliche Alimentierung
auf mal höherem, mal niedrigerem Niveau, prekär, aber in
Erwartung der Eigentumswohnung der Alten. Dass Scheitern der Aktion
»Steirisches Erz« ist in Graz allgemein bekannt. Diejenigen,
die daran mitgewirkt hatten, sind heute eher kleinlaut. Genau genommen
handelt es sich dabei aber um ein neues Schweigen in bestimmten Künstlermilieus
zwischen Graz und Wien, das dem der Bürger von Eisenerz leider
ganz ähnlich ist. Irgendwo in dieser verspiesserten Lebenswirklichkeit
des Projekte-hoppings hält sich das Wissen, dass aus der so pathetisch
angekündigten Aufkündigung des Verpflichtungsverhältnisses
gegenüber der eigenen Sippe seinerzeit nichts geworden ist. Das
verursacht keine schlaflosen Nächte, aber nimmt dem Projekteschmieden
ein wenig den jugendlichen Schwung. Der Klebstoff aus Exposé-Schreiben,
reduziertem Anspruch und Steuererklärung ist nun noch zäher
geworden, auch wenn das nächste Projekt schon wieder unter Dach
und Fach ist: Mozartjahr, Linz 2009, 65 Jahre Kriegsende... es wird
ja immer was abfallen in diesem reichen Staat, der sogar noch für
die besonders zähen unter den ehemaligen Zwangsarbeitern einen
Euro übrig hat. Der Umstand allerdings, dass man keinen Grund
hat, sich mit der Kampagne »Steirisches Erz« zu brüsten,
ist zugleich das Motiv, darauf zu achten, dass dieser Verlauf nicht
skandalisiert werden kann. Und hier dürfen sich alle Beteiligten
darauf verlassen, dass im Betriebssystem Kunst von allen Seiten die
Regeln eingehalten werden: Wo alle geradezu gezwungen sind, in Kleingruppen
ständig neue Weideplätze ausfindig zu machen, wo man sich
ein politisches Gedächtnis gar nicht erlauben kann, da hackt
ein Projekt dem anderen kein Auge aus.
Wie hermetisch das Zeitfenster inzwischen wieder geschlossen ist,
zeigte sich erneut Ende 2005, als Wiener Künstler im Grazer Forum
Stadpark die Ausstellung »Zur Tektonik der Geschichte«
ankündigten. Es war in diesem Haus die erste Bezugnahme auf die
NS-Zeit seit dem Scheitern eines immerhin recht groß angelegten
Projektes zur NS-Zwangsarbeit. Und »Zur Tektonik der Geschichte«
wurde von Leuten gemacht, die von der Verwandlung des Erzberg-Projektes
in einen Generationendialog wissen, die es bislang ablehnten, sich
hinter dem Rücken der NS-Opfer mit den »eigenen Leuten«
zu einigen. Aber dann geschah wieder etwas ganz und gar Eigenartiges:
Die Kuratoren und Teilnehmer/innen der Ausstellung hatten bei ihrem
Rückblick auf den Umgang der Kunst mit der Geschichte, das Projekt
»Steirisches Erz« mitten in Graz einfach »vergessen«.
Als sie daran erinnert wurden, waren sie über sich selbst irritiert.
Aber dann haben sie die Zusage, Korrekturen in ihrer Ausstellung nachträglich
unterzubringen, solange verzögert, bis es dazu zu spät war.
Das war nicht alles: Zwei Künstlerinnen bezogen sich im Forum
Stadtpark überraschend mitfühlend auf Wehrmachtssoldaten
und Sudetendeutsche. Meine Hoffnung, dass dahinter gewiss eine mir
nur zunächst entgehende aufklärerische Absicht stehen wird,
erwies sich leider als unbegründet.
So weiß man am Ende nicht so recht, auf welchen Begriff man
diese Erfahrungen bringen soll. Aus der Nähe betrachtet, löst
sich alles in eine Reihe menschlicher Schwächen auf. Mit etwas
Abstand zeigt sich, dass hier gewaltige Kräfte am Werk sind:
Familie, Nation, Vergangenheit, sozialer Status, Erbschaft in jedem
Sinn des Wortes, die Entscheidung für eine bestimmte Existenzweise.
Letztlich aber wird daraus der politische Wille, genau so zu handeln,
wie man handelt.
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