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Irgendwann in Linz, es war zu Beginn des Sommers, stand ein Kran am Donauufer beim Lentos und hievte Menschen hoch, die dann den Satz »Österreich ist frei!« nachplappern durften. Sehr lustig. Dieser Satz wurde 1955 nicht vom Balkon verkündet; Nur eine von vielen Ungenauigkeiten und Peinlichkeiten im Laufe von »25PEACES« anlässlich des »Gedankenjahres« 2005. Für die VERSORGERIN bat Christian Pichler Markus Binder, Sänger und Schlagzeuger von Attwenger, und Fritz Ostermayer (»Im Sumpf«, gemeinsam mit Thomas Edlinger jeden Sonntag ab 21 Uhr auf FM4) um ein Resümee. »Besser zurück zu den alten Schautafeln« Versorgerin: Fritz, du und Thomas
Edlinger habt im »Sumpf« nach der schwarz-blauen Regierungsbildung
einige Monate als Pestärzte ein dahinsiechendes Land retten wollen.
Jetzt auf einmal wieder - gab's dafür einen konkreten Anlass? * * * * * * * * * * * * * * * * * * * »Afrika in die EU« Versorgerin: Vor unserem Gespräch fiel mir wieder dieser lustige Wiener Kardinal ein, der nach dem Tod des Bundespräsidenten eine Rede vor dem Parlament hielt. Seltsam, in der Schule habe ich gelernt, dass Kirche und Staat in diesem Land getrennt sind. Markus Binder: Umgekehrt sieht man das in den letzten Jahren öfter, dass das Kreuz gleich hinter dem Politiker hängt. Damit wird Kritik abgewürgt, von wegen: Wir handeln in höherem Auftrag, kommts uns jetzt bitte nicht mit den Arbeitslosen. Versorgerin: Wie viel hast du vom »Gedankenjahr« mitbekommen? Markus Binder: Wir waren viel unterwegs mit Attwenger, aber eine Grundstimmung ist schon rübergekommen. Alte Mythen in neuem Gewand: Staatsvertrag. Diese Sicht, die Österreich auf seine Historie hat, über die man sich andernorts wundert. Dort wird 45 als Befreiung, bei uns als Belastung gesehen. Aber es ist doch so, die »Besatzung« haute die Nazis raus, stellte demokratische Verhältnisse her. Versorgerin: Bleiben wir bei 45. Markus Binder: Das prinzipielle Problem ist das der »Stunde null«. Vor sechzig Jahren, das ist allen klar, da war Krieg, eine Katastrophe. Im Nachhinein wird eine Stunde null konstruiert. Wenn man zum Beispiel in Linz auf die Voest eingeht, warum wird das KZ Mauthausen so nah an der Voest gebaut? Versorgerin: Ich vermute, um ZwangsarbeiterInnen einfacher transportieren zu können. Markus Binder: Ja, und jetzt kann ich doch nicht sagen, da ist die Voest, die hat bis heute ökonomische Power. Dass hier ein riesiges Stahlwerk steht, ist ja nicht aus einem herkömmlichen ökonomischen Prozess entstanden, sondern unter einer Gewaltherrschaft. Als wir einmal mit Attwenger in der Voest waren, habe ich gefragt: Wieso gibt es hier keine riesige Tafel mit historischen Informationen. Aber das sagen alle in der Voest: Vor 45, da redma net drüber. Dasselbe gilt für Kaprun. Vor 45 wird als eine Art Naturkatastrophe beschrieben: Ma, wos do passiert ist! Versorgerin: Noch ein paar Jahre zurück, der Austrofaschismus fiel ja heuer auch ziemlich unter den Tisch. Markus Binder: Warum bestimmte Informationen nicht so bekannt sind, da sind natürlich Interessen dahinter. Versorgerin: Eine (rechts-)konservative Regierung, wäre sie ehrlich, würde das vermutlich so argumentieren: Wir können eine Gesellschaft nicht zu viel mit unangenehmen Informationen belasten, sonst droht sie auseinanderzubrechen. Nachvollziehbar? Markus Binder: Aber eine solche Auffassung ist selbstbezogen, dumm und naiv. Ein kleinlicher Gedanke, der sich nicht durchsetzen darf! Das kennst du sicher vom zwischenmenschlichen Bereich: Redma net drüba, weils gerade so gemütlich ist. Im Endeffekt isses so, dass sich nichts weiterentwickelt und der Käse zum Stinken anfängt. Die Natur des Menschen ist es sich weiterzuentwickeln. Und es ist krank, das zu unterdrücken. Was auch dagegen spricht, Konflikte kleinzureden, das ist der Blick aufs Ganze. Wir leben auf einem Planeten, wo alles miteinander zusammenhängt. Wenn jetzt jemand sagt, okay, wir sind jetzt so weit, wir wollen nur noch unseren Besitz wahren, dann versteh ich das nicht. Versorgerin: Solche wirtschaftlich-nationalen Egoismen zeigten sich zuletzt deutlich in der Frage eines EU-Beitritts der Türkei. Markus Binder: Das ist in den Interviews zur neuen CD oft ein Thema. Mein Vorschlag ist, Afrika in die EU aufzunehmen. Das meine ich durchaus ernst; die reichen Länder müssen sich einfach klar werden, auf welcher Welt sie leben. Ich halte das für ein interessantes Projekt für die nächsten 100 Jahre, ein Umstürzen des eurozentrischen Weltbildes. Versorgerin: Jetzt könnte ein Kulturpessimist entgegnen, dass du mit solchen Äußerungen gegen Windmühlen anrennst. Markus Binder: Ich habe trotzdem die Pflicht zu sagen, was mir am Oasch geht. Noch mehr als jemand, der eine öffentliche Stimme hat, und die haben wir durch Attwenger. Da gehört Kritik für mich ursächlich dazu, auch Eigenkritik. Natürlich, mit Attwenger können wir den Robbie Williams nicht verhindern, das wär ein armseliger Größenwahn. Dass ich die Welt verändern kann, dachte ich mit 15 Jahren. Wir können die Dinge nur beobachten und möglichst genau beschreiben. Den Vorwurf, wir predigen eh nur für Bekehrte, den gibts. Ich erzählte folgende Geschichte schon in einem »Sumpf«: Ein Freund holte sein Kind vom Kindergarten ab. Die Kindergärtnerin sagte zu ihm: »Ihr Kind singt von Idioten«, gemeint war der »Klakariade«. Damit will ich sagen, es sickert schon was ein, wir musizieren nicht nur für »Bekehrte«. Ein Pasolini, ein Brecht, um jetzt die Großen zu nennen, glaubten nicht die Welt zu verändern. Aber sie machten die interessantesten Dinge des is jo voi supa. Versorgerin: Bleibt also, boshaft formuliert, maximal Trost als Resultat künstlerischen Engagements? Markus Binder: Brecht hat Hitler nicht verhindern können. Aber es ist wichtig, was er formuliert hat. Für so viele Leute kann das so wichtig sein und im günstigsten Fall auch was verändern. Trost? Natürlich bist froh, wenn du lest: I bin net allan, es gibt vü, denen des a am Oasch geht. Das beste Beispiel in den letzten 200 Jahren waren Engels und Marx. Was Jahrhunderte zwischen Anschaffern und Ausgebeuteten passiert, haben sie formuliert. Ob sich dadurch die Menschheit verändert? Immerhin verstehen wir besser, was mit uns passiert. Versorgerin: Kritik präzise zu formulieren ist mühsam, kostet Zeit. Österreichische Gemütlichkeit damit die Schleife zurück zu 2005 legt eher nahe, den Kopf in den Sand zu stecken. Markus Binder: Das hab ich jetzt so verstanden: Es is eh geil, den Kopf in einen guten Sound zu stecken.Neue CD von Attwenger: Dog (Trikont (Indigo)) Literatur: Markus Binder: Testsiegerstraße (Verbrecher Verlag) |