Wahlverwandtschafts Besuch

... Theoretisch war alles klar gewesen: Dreißig Tonga, Musiker und Tänzerinnen, vertauschen unfruchtbaren, wasserarmen afrikanischen Boden mit unfruchtbarem, wasserarmen europäischen Boden: Eine fast menschenleere Steinw¨ste wird zur Büühne für die Konfrontation mit einer ursprünglichen Art der Kultur, für eine große, integrative Zeremonie mit suggestiver Kraft.

Aber ein nieselregenfeuchtes Hinterstoder ist irgendwie nicht der richtige Anfang. Hier hat man Alpinist zu sein. Tom Floh`s Rolling Exhibition Hall steht auf dem Parkplatz wie eine Konservendose im Gletschereis, der Festivalbus drückt sich verlegen an den Waldrand. Im diffusen Grau, dicht über unseren Köpfen murmelt der Gott der Zauderer und Verzagten unaufhörlich: Es kann nicht gut gehen. Bleibt unten. Noch ist es Zeit. Die Tonga, der Willkür künstlerischen Wollens freiwillig ins unsagbar fremde Land gefolgt, sind seltsam gelassen. Seit ihrer Vertreibung gehört es zum Alltag, in der Fremde zu überleben und schlimmer kann es auch im Karst nicht kommen.

Gespenstisch leise bricht die Expedition auf: das Simonga Orchester und über hundert Begleiter. Regen setzt ein, der Weg wird steil, das Abenteuer hat begonnen. Bald erkennen die Tonga, daß eine Bergtour für sie zu den leichteren Herausforderungen zählt und sind zunehmend heiterer Stimmung, während manche ihrer heimischen Begleiter stumm und verbissen die schwindenden Kräfte bündeln. Später drängen sich weit über hundert nasse Menschen im Prielschutzhaus: Journalisten, denen erst einmal die Worte fehlen, tonlose Musiker und Kulturhungrige, die ersatzweise auch mit Erbsensuppe vorlieb nehmen.

Die Tonga sitzen so selbstverständlich und gelassen da, als wären schon ihre Ahnen hier gesessen, sie trinken Bier und warten auf den Abend. Na gut. Da sind wir also. Leute, die nicht recht zusammenpassen und die es zu Hause bequemer haben könnten. Europäische Mißverständnisse zum Thema afrikanischer Kultur haben Tradition. Fügen wir soeben ein neues hinzu, ein wenn auch skurilles, so doch blamables?

Georg Ritter von der Linzer Stadtwerkstatt hat indes seine dionysische Gestalt den Berg hochgewuchtet, quält sich über die letzten Höhenmeter, verschwitzt, erschöpft, ein Bild des Jammers, aufgeregt, hektisch, tatendurstig, kampfeslustig und kunstbegierig. Er prallt gleich einmal gegen die eisige Nordwand von Peter Kuthan von der Arge Zimbabwe Freundschaft, der schon auch Kunst will, doch nicht so rabiat. Großes Palawer, Bergführer und Tonga inklusive, Konfrontation, doch jeder nimmt jeden wichtig. Plötzlich ist da Gewißheit: Es kann nur gut gehen. Wenig später reißt die Musik der Tonga alle Barrieren nieder. Trommeln, Tierhörner, Rasseln, Gesang: ein tänzerisch bewegtes, rhythmisch strukturiertes Inferno, Urzeitahnung und ungestüme Grenzerfahrung.

Tage später wird die Karstlandschaft dieser Musik und der Ngoma Buntibe Zeremonie eine neue Dimension geben, weil das Echo Obertöne entstehen läßt. Tonkunst ist für die Tonga Ausdruck des Lebens. Des Überlebens. Schon vor ihrer großen Reise haben sie die Alpen in Klänge übersetzt. Nach ihrer Heimkehr werden sie weiter komponieren. Die Abschiedsfeuer in Ebensee lassen den nebelgrauen Anfang verglühen. Die Expedition von Wasser zu Wasser ist gelungen, die große Zeremonie durfte stattfinden und ein paar kopflastige Europäer genieren sich für blasse Gedanken und degenerierte Blasmusik.

von Alfred Komarek: Reiseliterat
(Auszug aus dem Katalog des Festivals der Regionen)