............................................................ bilder aus Afrika

Musik wie ein Orkan

Die Künstler Klaus Hollinetz, Werner Puntigam und Peter Androsch hatten im Sommer 1997 die Möglichkeit, ein Monat lang mit den Tonga in Siachilaba zu arbeiten. Aus der Auseinandersetzung mit der Ngoma Buntibe Musik entstanden 6 (elektroakustische) Kompositionen, die die unterschiedlichen Zugänge widerspiegeln. Diese Werke wurden in einer ausgedehnten Konzerttour auch in Zimbabwe und bei den Tonga selbst präsentiert und sind auf der CD "SIX REFLECTIONS" dokumentiert.

"... Keith Goddard spielte mir zum ersten Mal im April 1996 im Studio Bänder von den Tonga vor. Seine eigenen Aufnahmen in Siachilaba bei einer Begräbniszeremonie. Plötzlich fällt diese Musik wie eine Welle, wie ein Orkan aus dem Lautsprecher heraus ...

Mein persönlicher musikalischer Zugang geht über das Klangliche, Klangästhetische; mich interessieren dabei formale Prinzipien, mikrostrukturelle Prozesse. ... Da kommen nun die Tonga mit ihrer sehr kunstvollen Musik, diesem unglaublichen Lärm, der aber gleichzeitig sofort die Gestaltung beinhaltet. ... es schwappt wie ein Wall, wie eine Welle von Klang über einen drüber und es ist sofort evident, daß da eine Kunstmusik existiert, die völlig eigenen, anderen Kriterien genügt. Die unheimlich weit weg ist von dem traditionellen Musikverständnis, wie es in Europa seit 200 oder 300 Jahren existiert, aber viel näher dem ist, was wir als moderne Komponisten jetzt suchen und anstreben.

Bei den Tonga hat man den Eindruck, als ob jedes musikalische Ereignis eine gewisse Variabilität in der Zeit hätte. ... Jeder Instrumentalist dieses Ngoma Buntibe Ensembles erzeugt einen Klang und sie spielen aber zusammen - dadurch entstehen diese komplexen rhythmischen patterns. Das musikalische System der Tonga beinhaltet, da&alig; man die Zeiten viel freier wählt als es bei uns üblich ist. ... dort, wo der melodiöse Bogen ansetzt, in dieser Musik, hat sie eine ganz andere Variabilitäät und Flexibilität, als wenn man es mit dem traditionellen westlichen Musikverständnis betrachten würde. ... In Österreich waren ja nur 30 Leute, das ist ein Mini-Ensemble. Dort spielen meistens doppelt so viele. Der Klangeffekt ist ein viel radikalerer und viel offensiverer, mit starken Tanz- und Bewegungsritualen.

Die Tonga Musik ist eine Musik, die nicht auf einer Büühne aufführbar ist, die kommt aus allen Richtungen, ist einfach hörbar. Die Menschen rund um das Ensemble bilden eine Art Spalier und Teile des Ensembles löösen sich plötzlich aus dem Kordon und bewegen sich tanzenderweise weg, es bewegt sich auch ein Teil des Orchesters weg. Die Klangwirkung, die entsteht, ist natürlich unbeschreiblich. Die Distanzen gehen da bis zu 50 Metern, sie spielen aber immer noch. Das Ganze vollzieht sich teilweise auf einem Feld in der Größe von einem halben Fußballfeld. Es hat eine logische und choreographierte Qualität, die auch wieder diese ausfransenden Ränder hat, die aber im inneren Kern total präzise ist. ... Wenn man dabei ist, fügt man sich auch in diesen stampfenden und sehr wilden Rhythmus. Der ist so wild, daß die Staubwolken von der trockenen Erde losgestampft werden und das Ensemble teilweise unsichtbar ist. Rundherum steht das Publikum und schaut fast gebannt der Aktion zu.

... Wir sitzen also in dem Gehöft des Komponisten und reden über unsere gemeinsame Arbeit, über unsere Zugänge. Peter Androsch fragt ihn, wie er das komponiert hat, ob es notiert wird, ob es Küürzel gibt, wie man das weitergibt. Der Komponist antwortet mit einer Geschichte. Er erzählt, wie er in der Nacht aufwacht und einen Traum hatte, den er dann den Musikern erzählt. Also ein völlig anderer Zugang. Da gibt es keine Diskussion, wie man das jetzt strukturell umsetzt, sondern es setzt sich aufgrund eines inneren Inhaltes fast automatisch strukturell um. Dieser Zugang ist unglaublich faszinierend, weil er Eigenzeit beinhaltet, eine eigene Logik und eine eigene Wahrnehmungswelt.

... Wir haben einen interessanten Versuch gestartet, auch unten: Lukas Ligeti hat in Siachilaba mit ihnen gespielt und hat teilweise sehr regelmäßige Rhythmen getrommelt, da können die genau mitspielen. Sie können diesen Rhythmus exakt übernehmen und weiterspielen, nur ist es dann keine Tonga-Musik mehr. Man hat richtig an den Mienen der Dorfbewohner gesehen, die dabei waren, daß ihnen die Mundwinkel runterfielen und sie sich fragten: was spielen die da? Also für uns Nuancen von Unterschieden sind dort Unterschiede von Tag und Nacht, damit steht und fällt die Qualität dieser Musik, als präzises System.

Am Anfang dieser Musik ist immer großes Gerede, Chaos und in diesem Chaos gibt es dann plötzlich einen Moment, wo das Chaos anfängt, sich zu dieser Musik zu verdichten und schlagartig wie eine Lawine ist die Musik da und alle sind am Punkt. Genauso hört es auch wieder auf. ... Im Laufe der Zeit haben die Tonga dann gelernt, hier so zu spielen wie unten. Bei der Pühringerhütte haben sie wirklich so gespielt, wie wenn sie unten spielen würden. Dazu war das Tote Gebirge als isolationistischer Ort sicher sehr gut.

Sie haben gelernt, präsent zu sein. ... Es war sicher relativ schwierig, plötzlich ein Performer zu sein, herumzufahren und vor Publikum aufzutreten. Es ist in der Gruppe ununterbrochen über diese Sache diskutiert worden. Sie sind auch sehr selbstbewußt geworden, was ihre Musik betrifft, auch in Österreich. Es sind keine professionellen Musiker, sondern inklusive dem Komponisten sind sie alle Bauern. Während unseres Sommers ist unten Winter und Trockenzeit. Füür die Tonga war es auch ein bizarres Erlebnis, bei uns diese grünen Wiesen zu sehen, diese Fülle von Vegetation.

... Als vertriebenes Volk konnten sie nichts mitnehmen außer ihrer Kultur. Jetzt leben sie völlig isoliert im 20. Jahrhundert angekommen, aus der Steinzeit quasi. Sie lebten also vorher in einer anderen Welt, jetzt tun sie es nicht mehr, die Zivilisation ist dort angelangt. Und trotzdem haben sie ihre Kultur mitgenommen, so wie sie vorher war. Sie ist immer noch lebendig. Dementsprechend selbstbewußt sind sie dort und jetzt auch durch die internationale Erfahrung.

... Ich selbst war am Anfang relativ skeptisch gegenüber der Gebirgsüberquerung. Ich habe aber dann die Idee ab dem Zeitpunkt uneingeschränkt gut gefunden, als ich plötzlich merkte, was bietet man ihnen sonst? Man schleppt sie von Konzertbühne zu Konzertbühne oder was macht man mit ihnen? Also macht man mit ihnen eine eigene wilde Aktion. Wir werden zwar dort mit offenen Armen empfangen, aber man läßt uns gleichzeitig auch auf der Straßße stehen. Es ist nicht so, daß die einem dort die Häuser aufmachen. Sie sind sehr freundlich, aber das war's dann auch schon. Oder daß sie sofort herkommen und die Musik erklären oder wie es einige Leute aus unserer Expedition versuchten, einen großkulturellen Dialog aufzunehmen. Dazu waren sie einfach nicht willens. Den haben sie auch bei uns nicht wirklich aufgenommen. Sie waren zwar mit diesem Dialog konfrontiert, aber mit dem, daß wir für sie völlig abstruse Kompositionen und musikalischen Zugang entwickelt haben, der mit ihnen etwas zu tun hat, das war ihnen bis zum Schluß nicht wirklich geheuer.

Man hat ihnen also das gezeigt, ist mit ihnen über's Gebirge gegangen. Da gab es Momente, wo sie stark gemurrt haben und wo der Gruppendruck groß war. Das ist eine übliche Prozedur.. Ich glaube, daß sie auch mitgekriegt haben, daß man sie sehr ernst genommen hat und sie nicht wie ein Zirkusensemble auf der Landstraße auftreten ließ. Sie haben auch etwas Geld verdient, der Eingriff war ein enormer, aber er war von einem kulturellen Standpunkt aus. Das haben sie auch verstanden und akzeptiert. Sicher haben sich in ihrer Heimat grundsätzliche Dinge verändert, zum positiven. Auch wenn vielleicht die Tonga-Expedition im Toten Gebirge für die Tonga selbst nicht immer leicht war. Sie waren sicher auch körperlich an ihrer Grenze. Musikalisch hat das aber keinen Unterschied gemacht. ...

Sozial ist sehr viel bei ihnen zu Hause passiert. Auch die Streitereien, weil ja die Hälfte des Ensembles daheim bleiben mußte - wer bleibt daheim. Welche Privilegien haben die Leute, die dann nach Österreich wieder unten ankommen, mit Geld, mit Erfahrungen; nichts ist mehr genauso, wie es vorher war. Der eine hat sich einen Pflug gekauft, der Allerälteste hat eine junge Frau geheiratet, das ist alles auch eine Frage von Geld. Sehr viel wird dort mit Geld abgewickelt, aber nicht so wie wir das gewöhnt sind, im kapitalistischen Sinne, sondern das Geld ist dort ein wichtiger zeremonieller Austauschpunkt. Alles wird letztlich auch mit Geld abgewogen, das hat dort einen rituellen Charakter, keinen kapitalistischen. Also Sache, Aktion, die gar nicht unbedingt eine Leistung sein muß. Weil das rituell so sein muß, muß man Geld dafür bezahlen. So sind Hochzeiten oder all diese sozialen Dinge hochkompliziert. Dieses komplizierte System ist die Gesellschaft, so sind die. Das wirkt nicht nach außen, das wirkt nach innen. Es geht um einen sozialen Kontext. So funktionieren alle diese hermetischen Gesellschaften und das ist auch eine hermetische Gesellschaft, so wie auch die Musik hermetisch ist."

Klaus Hollinetz, Komponist, Interview am 11.2.1998